Tekes: Rituale der Landwirtschaft

Rituale der Maisernte in Molo-Miomafo

Vorbemerkung

Der folgende Text ist ein Zufallsbefund aus dem Jahr 1991. Ich sitze mit dem SMA-Lehrer Marcelinus Besa zusammen und wir diskutieren die indigene Kultur der Atoin Meto. Besas Familie ist in Nenas, Nordmolo, zu Hause. Sie ist nach dorthin umgesiedelt und lebt nun dort schon seit 20 Jahren. Früher lebte sie in Oeolo, Westmiomafo. Dort ist ihr Ursprungsort (uf). Im Verhältnis zu Oelolo ist Nenas tunaf, die Spitze ihrer Migration weiter westwärts.
M.Besa unterrichtet Englisch an der SMA-Kristen in Nunumeu, So`e.
Die Rituale, die M.Besa schildert, stammen aus Miomafo. Als Heranwachsender hat er diese in Oelolo oft miterlebt. Er erzählt sie mir aus seiner Erinnerung.
Für den Bericht über das Tekes-Ritual seiner Namengruppe (kanaf) bezieht sich M.Besa auf seinen Bruder, den amtierenden inoffiziellen Mnane in Oelolo. Marcelinus Bruder selbst hat dieses Ritual in dessen Gegenwart durchgeführt. Marcelinus war eigens zu diesem Ereignis nach Westmiomafo gereist, um das Ritual, das die gesamte Namengruppe (kanaf) Besa betrifft, mitzuerleben. In Westtimor sind solche Rituale gebannt und gehören in den kulturellen Untergrund.

Die Dokumentation des Tekes-Ritual von Oelolo bleibt fragmentarisch. Die Teile meiner Aufzeichnungen, die die dritte Phase des Rituals betreffen, sind irgendwo unterwegs verloren gegangen. Bedauerlicherwiese bleiben sie unwiederbringlich verloren.
Der hier von mir präsentierte Ablauf des Tekes-Rituals steht vereinzelt. Ich habe das Ritual so dokumentiert, wie mir berichtet wurde. Ich bin mir außerdem der Problematik einer solchen Datenlage bewusst, meine aber, dass die vorgelegten Informationen interessant genug sind, sie auch in dieser Form zu publizieren.
Nachuntersuchungen oder Überprüfungen der geschilderten Ereignisse hat es bisher meines Wissens nicht gegeben. Vieles von dem, was M.Besa berichtet, deckt sich mit eigenen Erlebnissen oder Interviewdaten aus Amanuban.
Ob es in Miomafo noch Reste dieses Rituals gibt? Das weiß man erst, wenn sich jemand erneut auf den Weg macht, danach zu suchen. Ich jedenfalls glaube an die Lebendigkeit des kulturellen Untergrunds in Westtimor.

Das Tekes-Ritual

Bevor die Maisernte beginnen kann, sind bestimmte Rituale erforderlich. M.Besa nennt diese zusammenfassend Tekes. Tekes-Rituale zelebriert man an zwei verschiedenen Orten.
Im Hausgarten am Faut Pah (Tuaf).
Am Niuf Banim Batnes, dem Ursprungsort der Kanaf.
Nateke bedeutet hinstellen oder niederlegen. Tekes, Niederlegung oder Darbringung.
Beide Bezeichnungen beziehen sich auf den zentralen Akt dieser Rituale. Die Anrufung und Einladung der Ahnen. Sie werden aufgefordert am Ritual teilzunehmen. Die Ahnen werden gebeten, dass ihre Nachkommen den reifen Mais ernten und essen zu dürfen. Der Speisung der Ahnen mit den Erstlingen der Ernte. Tekes.

Das Ritual im Hausgarten (lele)

Noch bevor die Maiskolben (pune) gebrochen werden, führt der Mnane (indigen. Priester, Schamane, Heiler) oder der Lel Tuaf (lele, Garten; tuan, Herr; hier der Gartenbesitzer) ein Tekes-Ritual aus. Der am Halm schon sichtbare Ernteertrag soll auf diese Weise gesichert werden. An diesem einfachen Ritual nehmen der Lel Tuaf und die Teilnehmer seines Haushaltes teil. Das Ritual selbst findet am Faut Pah [Tuaf] (fatu, Stein; pah, Erde) statt, einem Symbol für die umgebenden Berge. Dieses Symbol ist ambivalent. Die umgebenden Berge stehen mit der Welt der Geister in Verbindung. Die Bezeichnung Pah Tuaf ist ambivalent. Sie bezeichnet nicht nur den Besitzer des Gartens, der Erde. Sie bezieht sich auch auf andere Besitzer, merkwürdigere Herren des Bodens, Nu`af genannte Geister.
Noch am Wohnort werden die Körner von sechs bis acht Maiskolben, ohne Öl geröstet und zu Mehl zerstampft. Man nennt diese Prozedur taul ul, eine höfliche Formel, die nur für ein Tekes-Ritual verwendet wird. Sie ist für das alltägliche Zerstampfen von Mais im Mörser nicht üblich. Dieses Maismehl legt der Lel Tuaf in ein geflochtenes Körbchen (oko) und deponiert dieses im Garten am Faut Pah. H.G. Schulte Nordholt berichtet aus Insana, dass ein solches Körbchen am Uis Pah niedergelegt wird. Uis Pah ist die vergöttlichte Erde und weibliches Pendant zu Uis Neno, dem personifizierten Himmel.
Gemeinsam mit einem geschlachteten Huhn und Gebeten wird dieses Mehl (in Molo pen seka genannt, in Amanuban pen bete) am Faut Pah dargeboten. Zu diesem Zweck hat man um den Faut Pah vier weitere Körbchen (die oko ainaf; ainaf, Mutter) aufgestellt. In diese verteilt der Lel Tuaf nun das vorbereitete Maismehl. Die im offenen Feuer gebratenen Flügel des geschlachteten Huhns, sowie dessen Innereien (nonon) verteilt er ebenfalls auf die vier Oko. Der Name der Hühnerteile lautet Sis Tekes, das Tekes-Fleisch.
Der Mnane oder vertretend der Lel Tuaf legt ein paar Nackenfedern (nafo bi neon) des geopferten Huhns auf den Faut Pah. Jetzt beginnt er in Begleitung ritueller Formeln (natoni) Maismehl und Fleisch aus den vier Oko auf den Faut Pah zu legen. Maismehl und Fleischteile dienen den Ahnen (nitu), denen der Boden gehört, als Mahlzeit (fe sin he nahan). Die Verwendung von Nitu durch M.Besa ist etwas problematisch, da damit die sogenannte Totenseele des Verstorbenen bezeichnet wird. Die Ahnen sind eigentlich die Nai ma Be`i. Erst als die Ahnen ihre Mahlzeit erhalten haben, verzehren die Ritualteilnehmer das Maismehl und Hühnerfleisch, das nicht auf den Faut Pah gelegt wurde.
Ohne dieses Ritual befürchtet man, dass der Ernteertrag, der am Halm schon sichtbar ist, kleiner ausfällt, dass ein Teil des Ertrags beim Bündeln der Kolben verloren geht. Rache der Ahnen oder Nu`uf?

Erst wenn das beschriebene Ritual vollzogen wurde, beginnt die Maisernte. Die Kolben werden abgebrochen (sa`u) und aufgehäuft, dann zu Bündeln (futu) gebunden. Diese Bündel bestehen aus sechs oder zwölf Maiskolben. Die Anzahl der zu einem Bündel zusammengefassten Kolben hängt von deren Größe ab. Meistens sind es jedoch acht Maiskolben. Ein solches Bündel heißt Aisat mese. Es kommt selten vor, dass ein Aisat mese kleiner oder größer ausfällt. Zwanzig solcher Bündel ergeben ein Bikaes mese (bikase, Pferd), das was ein Pferd trägt. 50 bis 60 dieser Pferde entspricht dem durchschnittlichen Jahresverbrauch eines Haushalts. In einem guten Jahr können dies aber durchaus bis zu 100 Pferde sein. Die Atoin Meto unterscheiden den Mais in Pen meto und Pen kase (meto, einheimisch; kase, fremd; importiert). Nur, und jetzt die Ideologie, Pen mese erwirtschafte ausreichend Grundnahrung für ein Jahr. Wer Pen kase pflanze, der müsse später in der Stadt Arbeit suchen.
Die Maisernte begleitet der Vortrag von pantunähnlichen Verse (uab polin oder molok polin; die Verse heißen polin, uab oder molok der Vortrag dieser). Ein solcher Polin lautet folgendermaßen:

Au uis es i
Ich erzähle vom
polo bnoko
Hügel[Papaya]spalten
tapen fatu knutu
um Steinsamen zu erhalten.

Neben solchen Polin, oft sexuell anzüglich, die in gegenseitig aufeinander bezogener Stegreifdichtung vorgetragen werden, ist anderes amüsantes Entertainment (tek usi) üblich. Man erzählt sich gegenseitig Märchen (usi), keine besonderen, sondern solche, die man kennt (tek au usi). Usi, so sagte man mir, seien volkstümliche Erzählungen, Fabeln oder Märchen. Sie heißen auch Unu (uab unu, molok unu; unu, früher, einst). Von ganz anderer Art sind sogenannte Nunu, Erzählungen, die die überlieferte Geschichte einer Namengruppe (kanaf) bewahren.
Polin, Usi oder Unu, literarische Formen des Ausdrucks, werden dem Mais dargebracht und begleiten das Brechen und Bündeln der geernteten Maiskolben (nakbu pena).
Einst wurde der Mais in nur einer Nacht abgeerntet (nabuka pena nok fai). Dies habe sich aber geändert, obwohl die Nachtarbeit noch populär sei.
Zwei bis vier Maiskolben werden nicht vom Stengel abgebrochen. Sie werden zusammen mit einem Teil desselben so gebrochen, dass ein Stengelrest oberhalb und unterhalb des Kolbens erhalten bleibt. Erst nachdem der ganze Mais abgeerntet und gebündelt ist, werden auch diese Pen Nitu genannten Kolben gebündelt. Diese spezielle Bündelung des Pen Nitu ist erforderlich, um diesen vonm gewöhnlichen Mais zu unterscheiden.
Der Pen Nitu wird nun an einen Pfosten der Saen Lele, einer saisonalen Unterkunft (sane, Hütte), die sich in jedem Garten befindet, aufgehängt (naboni pen nitu mbi masu). Dort muss der Pen Nitu bleiben. Er darf auf keinen Fall, höchstens im Fall einer Hungesnot, gegessen werden. Nach Abschluss der Maisernte werden diese Kolben als letzte gebündelt und zusammen mit den anderen, unter Durchführung eines Rituals, ins Ume kbubu gebracht. Dort werden sie eine zeitlang in den Rauch des Tunaf-Feuers gehängt (tunaf heißen die im Herdfeuer brennenden Spitzen der Äste). Nach dieser Behandlung heißt der Mais nun Pen feu Aen feu. Sie werden aufbewahrt und stellen im nächsten landwirtschaftlichen Zyklus das Saatgut. Alle anderen Maiskolben, die zur Nahrung bestimmt sind, und Pen alu heißen, bleiben fortwährend über dem Tunaf-Feuer hängen. Sie lagern auf dem Speicherboden des Ume kbubu, in dessen Inneren ein permanentes Feuer brennt.
Die christliche Kirche in Miomafo hat auch hier Wege gefunden, dieses Ritual zu monopolisieren. Zur Zeit der Ernte bietet sie den Atoin Meto einen Ersatz für das von ihr als heidnisch diffamierte Ritual am Faut Pah. Sie verlangt eine symbolische Präsentation der Ernteerstlinge am Altar, wo sie vom Romo (Pastor) eingesegnet werden.

Nachdem die Maisernte eingebracht ist, begibt sich der Haushaltsvorstand zum Viehkraal (o`af oder o`of). Die Kraalumzäunung ist an einer Stelle durch eine Tür (eno bijael, die Tür des Büffels) gesichert, die aus zwei Doppelpfosten (suli) besteht, in die QuerhöLzer gelegt werden. Am rechten Pfosten liegt der Fatu Nu`af. Dieser bewacht den Kraal vor schädlichen Einflüssen. Er soll ihn insbesondere schwer machen. Mit einer Maisblüte (pen sufa) berührt der Lel Tuaf den Kopf eines Büffels. Er will so der Herde mitteilen, dass der Mais gegessen werden kann. Sie müssen ihn nun nicht mehr stehlen. Er spricht dabei: Stehle nicht den Mais anderer Leute, zerstöre nicht die Gärten anderer Leute (naika mubak es in pene ai muoe es in lele).
Das Ritual heißt Pen Suf Bi`a.
Die Maisblüte für die Büffel.
Dem Fatu Nu`af wird auch mitgeteilt, dass der Hausherr beabsichtigt, ein Tier zu schlachten. Versäumt er dies, besteht die Gefahr, dass die verbleibenden Tier aus Angst und Schrecken das Weite suchen. Der Stein macht den O`of nicht mehr schwer. Kruyt berichtet von einem vergleichbaren Brauch aus Amarasi. Dort gibt es Steine im Haus, die die vorhandenen Gegenstände schwer machen.

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