Nobi Nobi, 13. Juni 1992

Interview mit Timateus Nakamnanu aus Nobi Nobi, Zentralamanuban, am 13. Juni 1992

Thema des Interview mit Timateus Nakamnanu waren weitere Details zur Geschichte Amanubans aus der Perspektive der Nope-Namengruppe. Zusammen mit Isu gehörte Nakamnanu im feudalen, vor-indonesischen Amanuban zum engsten Kreis der herrschenden Klasse des Nope-Sonaf in Niki Niki. Die Namen Nope, Isu und Nakamnanu repräsentierten Jahrhunderte lang absolute, numinose Macht.
Dieses Interview hatte auch den Zweck, Informationen zur Geschichte des feudalen Banams zu verifizieren und zu ergänzen, die im Zusammenhang mit Angaben von Y.Ch. Sapay und meinen Forschungen zur Kuan-Fatu-Chronik noch problematisch waren. Schon früher hatte ich diese Themen mit Kela Nope aus dem Sonaf von Niki Niki diskutiert. Das Nakamnanu-Interview sollte nun weitere Gewissheit bringen.

Le`u musu
Die Aktivierung der Le`u nusu

Wurde der Krieg erklärt und die Krieger-Kopfjäger (Meo) auf Befehl des Uis Banam rekrutiert, aktivierte jeder Meo, der im Besitz einer Le`u musu, diese indem er den Kontakt zu ihr aufnahm. Der Meo bewahrte seine Le`u musu in einem Gebäude, das einem Ume kbubu ähnelt, jedoch kleiner und niedriger ist: dem Uem le`u. Der Meo verbachte die letzten Stunden, bevor er auszog zusammen mit seiner Le`u in diesem Gebäude
Mit Gebeten und einem Speiseopfer, Huhn, Schwein oder Ziege, die rot sein mussten, rief der Meo seine Le`u musu an. Er fütterte sie und erwartete ihre Ratschläge und Befehle für den bevorstehenden Krieg. Für die Le`u musu träufelte er das Blut der Opfertiere auf einen Stein, die Leber diente dem Ote naus, der Divination für sein bevorstehendes Schicksal im Krieg. Das Fleisch des Opfertiers aß der Meo selbst.
Die Antwort seiner Le`u musu auf diese Anrufung erfolgte auf drei Weisen, die der Meo zueinander in Beziehung setzen musste, wollte er Aufschluss über sein Schicksal erhalten:

  • durch das Ote naus genannte Leberorakel;
  • durch die Ansprache der Le`u musu, die, obwohl Gegenstand, den Meo persönlich ansprach und ihm Verhaltensregeln für den bevorstehenden Krieg mitteilte;
  • durch die Kommunikation des Meo mit seinerLe`u musu im Traum.

Es ist nachvollziehbar, dass die Le`u musu mit ihrem Besitzer, der vor seinem Aufbruch im Uem le`u isoliert ist, im Traum kommuniziert. Bei der erwähnten Ansprache der Le`u kann es sich durchaus um optische und akustische Halluzinationen aufgrund der enormen psychischen Anspannung, in der Schwebe zwischen Wachsein und Schlaf, handeln.
Wesentlich ist aber, dass der Meo in dieser Situation praktisch nutzbare Informationen über den bevorstehenden Krieg erhält, über sein Verhalten sowie über den Ausgang des Kriegs. Diese Auskünfte erhält er im Traum und durch die Befragung der Leber der Opfertiere. Der Meo interpretiert sie als Befehl seiner Le`u musu und sieht sie als absolut verbindlich an. Eine Verweigerung dieser Befehle zog für den Meo verhängnisvolle Konsequenzen nach sich.

Die Kontaktaufnahme des Meo mit seiner Le`u musu aktivert seine Le`u. In indigener Überzeugung bedeutet diese Aktivierung die Erhitzung der Kriegsmagie, die ihn infiziert und aus alltägliche Sphäre heraushebt, was auch seine Isolierung im Uem le`u erklärt. Selbst erhitzt durch seine Le`u ist ihm der Kontakt zu seinen Mitmenschen untersagt, da die Destruktivität seiner Hitze dem Leben und der Fruchtbarkeit schadet. Frauen sind generell vom Kontakt mit der Le`u musu ausgeschlossen, und dem nun ebenfalls heißen Meo ist besonders der sexuelle Umgang mit seiner Frau untersagt. Die Berührung oder die Verunreinigung der Le`u musu durch alles weibliche ist das stärkste Tabu mit dem die Le`u musu aus dem Alltagsleben ausgegrenzt ist. Dieses Tabu reduziert die polare Gegengeschlechtlichkeit der Lebenswelt des Atoin Meto auf ihren männlichen Pol. Der Moment, in dem der Meo zu seiner Le`u musu in Kontakt getreten ist, trennt ihn radikal von der Gemeinschaft.

Die Terminologie au bia (meine andere Seite) und au benu (mein Freund), wie in der Monographie von H.G. Schulte Nordholt, kennt Timateus Nakamnanu nicht. In Amanuban sie dieser Name für die Kopftrophäe nicht üblich gewesen.
Au bia und au benu sind auch keine adäquate Bezeichnung für die Le`u musu.
Um die sehr intime Beziehung, die zwischen dem Meo und seiner Le`u musu besteht zu bezeichnen, habe man den Begriff sosa` bia verwendet. Dieser Terminus bezeichnet die Identifizierung des Meo mit seiner Le`u musu, die bis zu einem Gefühl der Identität gehen kann: die Le`u wird als Teil des eigenen Selbst aufgefasst.

Der Erwerb einer Le`u musu

Besitzt der Vater eine Le`u musu vererbt er diese an einen Sohn. Die Le`u musu ist Gegenstand patrilinearer Vererbung, und wird nur in der männlichen Linie weitergegeben. Generell erbt bei den Atoin Meto der erstgeborene Sohn. Dieser erbt aber auch die Verpflichtung, darauf zu achten, dass seine jüngeren Geschwister nicht leer ausgehen und am väterlichen Erbe Anteil haben.
In Bezug auf die Le`u musu ist dieses Prinzip aufgehoben. Der Vater darf die Le`u musu nicht einfach an seinen erstgeborenen Sohn weitergeben. Töchter sind von diesem Erbe ohnehin ausgeschlossen. Der Vater kann nicht frei bestimmen, welchem seiner Söhne seine Le`u musu nach seinem Tode gehört. Der Vater prüft seine Söhne der Reihe nach, indem er sie mit Bestandteilen seiner Le`u musu konfrontiert. So kann die Le`u selbst entscheiden, welcher der Söhne ihrem Charakter am ähnlichsten ist. Die Le`u musu wählt ihren Nachfolger selbst aus. Nicht ihr Vorbesitzer hat das Recht die Besitznachfolge zu regeln. Die Le`u musu wählt ihren Nachfolger selbständig nach der Affinität aus, die sie mit einem potentiellen Nachfolger besitzt (sosa bia`).
Früher habe es Zeichen und Träume gegeben, dass jemand von der Le`u musu ergriffen wurde, sodass die Wahl des Nachfolgers offensichtlich war:

  • Die Le`u musu erwählte ihren Besitzer selbst aufgrund bestehender Affinitäten zwischen ihr und ihm.
  • Die Le`u musu sitzt im Krieg ihrem Besitzer auf der Schulter und begleitet und beschützt ihn.

Die Überzeugung, dass die Le`u musu ihrem Besitzer Ratschläge für sein adäquates Verhalten im Krieg gibt, ist ein weitres Indiz für eine weitgehende Personifizierung der Le`u musu. Sie gibt ihm konkrete Anweisungen darüber,

  • wessen Kopf genommen werden darf und wessen Kopf nicht.

welchen Ort des Überfalls und Hinterhalts er auswählen soll.

Für die Kommunikation mit dem Meo bedient sich die Le`u musu verschiedener Vögel, deren Stimmen sie imitiert, besonders der Eule, um ihren Willen kundzutun.

Zur Abstammung von Nope

Der Begründer der Nope-Dynastie kam aus Rote über Amarasi und Amanatun nach Tunbes.
In Tunbes übertrug ihm Nubatonis, der zu dumm und zu ungebildet war, um mit den Portugiesen (Boluk) in Ost-Timor (Pah in nakan) einen lukrativen Handel aufzubauen, die politische Macht.
Nope heiratet eine der beiden Töchter von Nubatonis: die älteste Tochter verschmäht ihn seiner niederen Herkunft als Hirte wegen, die jüngste verehrt ihn aber aufgrund seiner Intelligenz und Sprachbegabung. Ale Amaf von Nubatonis stimmen dieser Heirat zu und wählen Nope zu ihrem neuen Herrscher.
Damals bekam Nope auch seinen Namen durch die nach Westen, in seine Heimat ziehenden Wolken (nope). Seinen wirklichen Namen verschweigt er, sodass er den Akun-Namen Amu (einwickeln) bekommt.

Der Ofu-Krieg und die Herunft des Namens Babis

Der in Ofu, Zentralamanuban, lebende Meo Naek Sole hat Ambitionen auf den Thron in Niki Niki, und organisiert eine Rebellion gegen den Uis Banam Nope in Niki Niki. Wegen seiner militärischen Unterlegenheit wendet sich Baki Nope an den Sonba`i, den Regenten in Molo-Miomafo, und bittet ihn um Unterstützung. Sole entzieht sich der Übermacht des Sonba`i, und flieht nach Kuan Fatu geflohen.
Aus Unkenntnis der Wege in Banam kommen die Truppen des Sonba`i nach Ofu, wo sie die dort lebenben Nope-Alliierten Telnoni, Lenama`und Nenohai angreifen. Baki Nope erfährt von dem Missgeschick des Sonba`i und macht ich eilig auf den Weg nach Ofi um seine Alliierten vor dem Schlimmsten zu bewahren. In der Eile vergisst er die Silbermünze, um eine Kabin zu überreichen. Als Ersatz überreicht er dem Sonba`i den Suin matan, das Auge des Schwerts. Dieses Auge ist eine Silbermünze, die in seinen Schwertgriff schmückt, der einem Hahnenkopf nachgebildet ist. So beendet er den Krieg in Ofu.
SOLE ist in der Zwischenzeit nach Niki Niki geeilt, um sich angesichts der militärischen Übermacht dem Uis Banam zu unterwerfen. Als Konsequenz des Aufstands ändert Nope den Namen von Sole in Babis und erklärt den Namen Sole zu seinem Akun.

Ergänzende Materialien zu den Eigennamenbündeln

In den Tonis-Dichtungen repräsentiert das folgende Eigennamenbündel die Namengruppe Boimau`:
Bibi und Bibi, Ta`o mnanu und Boimau`.
In den Tonis-Dichtungen steht das folgende Eigennamenbündel für die Namengruppe Kause:
Punuf und Ta`dean, Hekobi und Kause.
Jede der Atoin Meto Namengruppen wird in den Tonis-Dichtungen durch ein aus vier Eigennamen bestehendes Bündel gekennzeichnet. Die Funktion dieser Vierergruppe besteht darin, die Gesamtheit aller Linien anzugeben, die von einem Boimau` oder einen Kause abstammen, dem ersten Ahnen (apical ancestor).

Abstammung, Herkunft und politische Position von Nakamnanu

Usif Olbanu, der Sohn des auch Olak Mali genannten Begründers der Nope-Dynastie, hatte zwei Söhne, die sich durch unterschiedliche Charaktere auszeichneten:
Der ältere Sohn verbrachte seine Tage damit, sein langes Haupthaar zu kämmen, einzuölen und zu einem Knoten auf dem Hinterkopf zu schlingen. Hat er dies zu seiner Zufriedenheit beendet, verbringt er den weiteren Tag mit essen, trinken und schlafen. Die ihm untergebenen Amaf verärgert sein Verhalten, da sich und ihre Pflichten und Rechte vernachlässigt fühlen, sodass sie sich bei Usif Olbanu beschweren.
Der jüngere Sohn entspricht in allem dem Ideal eines Atoin-Meto-Herrschers, sodass die Amaf diesen vorziehen und ihn in die Position des älteren Bruders ein setzen.
Nakamnanu (nakan, Kopf; mnanu, lang), dessen ursprünglicher Name Anunai lautet, ist der älteste Sohn des Begründers der Nope-Dynastie, somit der Kronprinz und erbberechtigte Nachfolger. Wegen seines Verhaltens, und auch wegen seiner Passivität, schickt in Olbanu nach Neke, wo er ihm einen eigenen Sonaf zuweist, wo er, ungestört und abseits der Macht, seinen Neigungen nachgehen kann.

Das Ortsnamenbündel von Nakamnanu in Neke lautet: Snae und Oe Kolo, Tanmnanu und Sanman.
die Am Fenu von Nakamnanu in Neke sind: Tkesan und Tmekun, Tsuat und Nubatonis.

Der ursprüngliche Name des ersten Nakamnanu ist mehr als nur ein Eigenname: Er steht als Garantie und als Schwur (Fanu) für die älteren Rechte Nakamnanus, des Erstgeborenen von Olbanu. Sinngemäß lautet dieser Fanu: Sollte ein Nope-Herrscher einmal keinen Sohn als Nachkommen zeugen, so geht das Recht der Herrschaft an den erstgeborenen Sohn, an Anunai alias Nakamnanu zurück, und dieser wird wieder in seine alten Rechte eingesetzt.
Die Geschichte hat sich gegen Nakamnanu entschieden.

Nakamnanu ist der Prototyp des Atupas im vor-indonesischen Banam, wie in H.G. Schulte Nordholt für das nordösilich von Amanuban gelegene Atoin-Meto-Territorium Insana beschrieben hat. In den politischen Systemen der Atoin Meto seit der Nope-Ära ist dieser passive, rituelle Funktionsträger im Zentrum der Polis nicht mehr präsent. Dies soll wohl die Legende des passiven, nur an seiner Haarpflege interessierten ältesten Sohns von Olak Mali überliefern.
Diese Legende tradiert die Verbannung und Verstoßung des die Fruchtbarkeit des Bodens sichernden Atupas aus dem Zentrum der Macht sowie seine Ersetzung durch den männlich-aktiven, militärischen Herrscher, wie ihn alle bekannten Amanuban-Herrscher darstellen.

Generationen später verlegt ein Teil der Namengruppe Nakamnanu ihre Residenz von Neke nach Nobi Nobi.
Dort übernehmen sie die Überwachung und Sicherung des Eon Neontes, des Osttors nach Banam, für den Uis Banam in Niki Niki. Aus dem passiven Herrscher im Zentrum ist ein militärischer Aktivist der Peripherie geworden.
Während der niederländischen Kolonialregierung wird Nakamnanu in das Amt des Fetors von Noe Liu und Noe Siu berufen.

Das Ortsnamenbündel von Nakamnanu in Nobi Nobi lautet: Nobi Nobi und Taemnanu, Faunan und Sesnai.
Die Am Fenu von Nakamnanu in Nobi Nobi sind: Punu und Panab, Manu und Senabu.

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