Archiv für die Kategorie Ethnologie

Timors Söhne und ich

Feldforschung als Begegnung

Obwohl der Entstehungszusammenhang ethnologischer Daten meist verschämt verschwiegen oder nur explizit angedeutet wird, bewegt sich ethnographische Forschung doch immer zwischen den beiden Polen der Subjektivität des Wissenschaftlers und seinem Bemühen, die in fremden Kulturen gesammelten Daten nach dem Reglement zu präsentieren, das ihm seine Wissenschaft vorschreibt. Ironisch getönt findet Vincent Capranzano für diesen Konflikt die geeignete Formel, indem er den Ethnographen mit dem Götterboten Hermes vergleicht: Als Hermes die Aufgabe des Götterboten übernahm, versprach er Zeus nicht zu lügen. Aber er versprach nicht, die ganze Wahrheit zu sagen. Zeus verstand. Der Ethnograph nicht.

Den Rest des Beitrags lesen »

2 Kommentare

Das Eigene und das Fremde


Hinterlasse einen Kommentar

Kanon und Zensur in Amanuban

Der Kanon der Tonis-Dichtungen als Idealnorm historischer Überlieferung

Die Tonis-Dichtungen der Kuan Fatu-Chronik sind nicht nur grammatisch parallel, sie sind auch kanonisch.

Als auffälligstes Merkmal tritt bei der Durchsicht von Quellen, deren Gegenstand mündliche Dichtungen sind, weltweit die Vorschrift in den Vordergrund, dass diese Dichtungen nach einem bestimmten formalen Prinzip gestaltet werden müssen. Vorgeschrieben ist in allen untersuchten Dichtungen die Verwendung metaphorisch kodierter, syntaktisch- und semantisch paralleler Lexempaare sowie der Umfang der Möglichkeiten und der internen Beziehungen, nach denen diese Paare miteinander kombiniert werden dürfen. Botschaften und Bedeutungen können in den meisten der herangezogenen Beispiele nur dann richtig und vollständig geäußert werden, wenn sie als paralleles Lexempaar in einer parallelen Phrase (Verssegment) oder in einem parallelen Vers arrangiert waren. Emeneau bringt die Vorschrift vom zwingend formalen Chrarakter der mündlichen Dichtungen in formellen Situation auf die kurze Formel, diese Verse seien: fixed by convention for particular contexts. Wie auch anders könnte eine ancestral language als wahr gelten, wenn nicht qua Konvention?
Diese Konventionalität, die kollektive dichterische Tradition, verleiht auch den Dichtungen der Kuan Fatu-Chronik in den Augen der ihnen zuhörenden Atoin Meto in den rituellen Situationen ihre Wirksamkeit und Autorität, deren Ursprung Du Bois mit Formulierungen wie self-evident und voice from nowhere umschrieben hat.

Copyright 2015. All Rights Reserved (Texte und Fotografien)

Die Studie Kanon und Zensur ist urheberrechtlich geschützt. Die Seiten und deren Inhalt dürfen nicht kopiert und nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Dieser Text wurde erstmals auf meiner inzwischen eingestellten Website Vingilot – Beiträge zur Anthropologie veröffentlicht. Jegliche unautorisierte gewerbliche Nutzung ist untersagt.

Hinterlasse einen Kommentar

Kleidung als Wohnung des Leibes

Ikonographische Betrachtungen zur textilen Motivik der Atoin Meto in West-Timor1

Gegenstand dieser Betrachtung ist ein Aspekt der traditionellen Motivik der Atoin Meto im Territorium Amanuban (Westtimor, Indonesien), welche die Bedeutung eines textilen Verzierungselements dieser Ethnie klären soll. Paradigmatisch sollen kulturspezifische Überzeugungen verdeutlicht werden, welche die Bevölkerung Amanubans mit der Musterung ihrer Kleidung verbindet. Die Anwendung von zwei Konzepten der Neuen Phänomenologie kann der ethnologischen Forschung den Weg weisen und die Bedeutung dieses Verzierungselements und generell die Funktion verzierter Kleidung in Amanuban besser zu verstehen. Bei diesen beiden Konzepten handelt es sich zum einen um die Räumlichkeit der Gefühle, zum anderen, damit verbunden, um die Theorie der Wohnung als Umfriedung. Die Auffassung, daß in Bezug auf die Bedeutung der Motivik indonesischer Textilien allenfalls geschulte Vermutungen (educated guesses) angestellt werden können, teile ich nicht,2 vor allem, da Janet Hoskins und Danielle Geirnaert inzwischen die gewebten Botschaften der Kodi-Textilien (Westsumba) teilweise entschlüsselt haben.3

Den Rest des Beitrags lesen »

Hinterlasse einen Kommentar

Die metaphorische Rede vom Herzen

Damit Dein Herz versteht und Dein Bauch begreift! Die Bedeutung von nekan (Herz) in Amanuban

Und nun unser letztes Wort, ihr Männer und ihr Frauen mit dem
weissen Leibesbild! Wir Menschen der Indonesischen Erde haben
euch die Töne unseres Herzens vernehmen lassen. Belauscht nun
vergleichend euer Herz, und ihr werdet die gleichen Töne hören.

Ja, sie sind gleichen Wesens, gleicher Würde,
unser Herz und das eurige
. (R. Brandstetter 1927, 30)

1. Vorbemerkung

Gegenstand dieser Untersuchung ist die Erörterung der semantischen Tragweite von nekan (Herz) in Alltagssprache und mündlicher Dichtung der Atoin Meto in Amanuban. 1 Amanuban, heute ein Landkreis (kecamatan) im indonesischen Südwesttimor, hat bis auf seinen Namen viel von seinem früheren Glanz verloren. Ehemals ein politisch autonomes Territorium des Atoin-MetoAdels, über 300 Jahre unter der Hegemonie der Nope-Dynastie, war Amanuban einer der zehn kleinen, feudal-monarchischen Staaten Westtimors.

Den Rest des Beitrags lesen »

Hinterlasse einen Kommentar

Ein wichtiger Mann

Ein ethnopoetischer Diskurs

Eins

Was ist erforderlich, um das Fremde angemessen darzustellen?

Es geschah an einem meiner letzten Tage in So`e. Jedenfalls in der letzten Woche. Kurz vor meinem Abflug nach Bali.
Eines Morgens steht Sapay unerwartet vor der Tür. Es ist noch früh. Für mich, weniger für ihn. Er war schon einige Stunden unterwegs und muss sein Haus in Nunusunu vor Sonnenaufgang verlassen haben.
Ich müsse unbedingt noch jemanden kennenlernen, drängt er mich. Jemand wichtigen. Einen Mann. Er wohne ganz in der Nähe, am Ende der Ahmed Yani. Dort, wo es zu den Bungalows der Provinzregierung hinauf gehe.

Den Rest des Beitrags lesen »

Hinterlasse einen Kommentar

Die Weltanschauung der Atoin Meto

Die Kultur der Atoin Meto in Westtimor
Ein quellenkritischer Überblick über die ethnographische Literatur

Einleitung

Gegenstand dieses kommentierten Literaturüberblicks sind die symbolischen Klassifikationen und die religiösen Überzeugungen der Atoin Meto in Westtimor wie sie die verfügbaren ethnographischen und ethnologischen Quellen dargestellen. Die Qualität eines solchen Überblicks hängt immer von Zustand der vorhandenen Artikel, der Buchbeiträge und der wenigen Monographien ab. Diese Synopsis der Quellen greift auf Untersuchungen zurück, die zwischen 1830 und 1980 publiziert wurden.

Den Rest des Beitrags lesen »

Hinterlasse einen Kommentar