Archiv für die Kategorie Essays

Timors Söhne und ich

Feldforschung als Begegnung

Obwohl der Entstehungszusammenhang ethnologischer Daten meist verschämt verschwiegen oder nur explizit angedeutet wird, bewegt sich ethnographische Forschung doch immer zwischen den beiden Polen der Subjektivität des Wissenschaftlers und seinem Bemühen, die in fremden Kulturen gesammelten Daten nach dem Reglement zu präsentieren, das ihm seine Wissenschaft vorschreibt. Ironisch getönt findet Vincent Capranzano für diesen Konflikt die geeignete Formel, indem er den Ethnographen mit dem Götterboten Hermes vergleicht: Als Hermes die Aufgabe des Götterboten übernahm, versprach er Zeus nicht zu lügen. Aber er versprach nicht, die ganze Wahrheit zu sagen. Zeus verstand. Der Ethnograph nicht.

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Kleidung als Wohnung des Leibes

Ikonographische Betrachtungen zur textilen Motivik der Atoin Meto in West-Timor1

Gegenstand dieser Betrachtung ist ein Aspekt der traditionellen Motivik der Atoin Meto im Territorium Amanuban (Westtimor, Indonesien), welche die Bedeutung eines textilen Verzierungselements dieser Ethnie klären soll. Paradigmatisch sollen kulturspezifische Überzeugungen verdeutlicht werden, welche die Bevölkerung Amanubans mit der Musterung ihrer Kleidung verbindet. Die Anwendung von zwei Konzepten der Neuen Phänomenologie kann der ethnologischen Forschung den Weg weisen und die Bedeutung dieses Verzierungselements und generell die Funktion verzierter Kleidung in Amanuban besser zu verstehen. Bei diesen beiden Konzepten handelt es sich zum einen um die Räumlichkeit der Gefühle, zum anderen, damit verbunden, um die Theorie der Wohnung als Umfriedung. Die Auffassung, daß in Bezug auf die Bedeutung der Motivik indonesischer Textilien allenfalls geschulte Vermutungen (educated guesses) angestellt werden können, teile ich nicht,2 vor allem, da Janet Hoskins und Danielle Geirnaert inzwischen die gewebten Botschaften der Kodi-Textilien (Westsumba) teilweise entschlüsselt haben.3

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Die metaphorische Rede vom Herzen

Damit Dein Herz versteht und Dein Bauch begreift! Die Bedeutung von nekan (Herz) in Amanuban

Und nun unser letztes Wort, ihr Männer und ihr Frauen mit dem
weissen Leibesbild! Wir Menschen der Indonesischen Erde haben
euch die Töne unseres Herzens vernehmen lassen. Belauscht nun
vergleichend euer Herz, und ihr werdet die gleichen Töne hören.

Ja, sie sind gleichen Wesens, gleicher Würde,
unser Herz und das eurige
. (R. Brandstetter 1927, 30)

1. Vorbemerkung

Gegenstand dieser Untersuchung ist die Erörterung der semantischen Tragweite von nekan (Herz) in Alltagssprache und mündlicher Dichtung der Atoin Meto in Amanuban. 1 Amanuban, heute ein Landkreis (kecamatan) im indonesischen Südwesttimor, hat bis auf seinen Namen viel von seinem früheren Glanz verloren. Ehemals ein politisch autonomes Territorium des Atoin-MetoAdels, über 300 Jahre unter der Hegemonie der Nope-Dynastie, war Amanuban einer der zehn kleinen, feudal-monarchischen Staaten Westtimors.

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Ein wichtiger Mann

Ein ethnopoetischer Diskurs

Eins

Was ist erforderlich, um das Fremde angemessen darzustellen?

Es geschah an einem meiner letzten Tage in So`e. Jedenfalls in der letzten Woche. Kurz vor meinem Abflug nach Bali.
Eines Morgens steht Sapay unerwartet vor der Tür. Es ist noch früh. Für mich, weniger für ihn. Er war schon einige Stunden unterwegs und muss sein Haus in Nunusunu vor Sonnenaufgang verlassen haben.
Ich müsse unbedingt noch jemanden kennenlernen, drängt er mich. Jemand wichtigen. Einen Mann. Er wohne ganz in der Nähe, am Ende der Ahmed Yani. Dort, wo es zu den Bungalows der Provinzregierung hinauf gehe.

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Ein Greenhorn in Amarasi

Könige, ein Vogelmotiv und ein häßlicher Schal

Ich bin in Timor angekommen. Nicht nur physisch. Ich fühle mich willkommen und kann mit meinen Forschungen über die Kultur der Atoin Meto beginnen.
Für einen ersten Besuch wähle ich Baun aus, eine Ortschaft südöstlich von Kupang gelegen. Baun liegt zweihundertvierundfünfzig Meter über Normalnull. Das Klima ist hier angenehmer als in der feuchtheißen Kupangbucht.
Baun ist eine Ortschaft im Regierungsbezirk Kupang. Im Landkreis Amarasi Barat. Amarasi, einst eines von zehn feudalen Königreichen, und von einer Dynastie mit absoluter Machtfülle regiert. In Amarasi, und so auch in Baun, spricht man einen ganz eigenen Dialekt und trägt eine differenzierende Tracht. Die Atoin Meto erkennen an der Musterung der Kleidung, woher der andere kommt.

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Weihnacht im Wilden Osten

Die protestantische Kirche in Amanuban besteht aus einer großen Anzahl von Basisgruppen. Die Gruppen orientieren sich an den Nachbarschaften der dörflichen Siedlungsstruktur. Jede Kirchengemeinde in Amanuban ist in diese kleinen, gut überschaubaren und kooperativen Gruppen gegliedert.
Jede dieser protestantischen Basisgruppen führt einige Tage vor Weihnachten eine Zeremonie durch, die Pohon terang, der strahlende Baum, oder Pohon natal, Baum der Geburt, genannt wird. Einige dieser Gemeinden haben mich gebeten, mit ihnen zusammen Weihnachten zu feiern. Für mich waren diese Feiern ein eigenartiges Erlebnis. Getragen von einer warmen sozialen Atmosphäre wirkten sie auf mich grotesk und unpassend aus einem christlichen Kontext adaptiert.

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