Blatt Vier: Bali

8. Oktober – 8. November 1990

SOSBUD, sosial budaya, sozio-kulturell. Das begehrte Visum. In Indonesien verlängerbar. Zuerst 35 Tage Aufenthalt. Insgesamt sechs Monate. Theoretisch kein Problem. Aber alle die wir fragen, sagen, vier Monaten sei Limit.

Die ersten beiden Monate seien problemlos. Wir brauchen jemanden, der als Sponsor auftritt; rein formell. Die letzten beiden Monate gibt es nur, wenn eine offizielle Institution diese Rolle übernimmt.
Zwei Monate sind lang. Sie werden reichen, einen Sponsor zu finden. Jeder Balier kann das sein. Theoretisch! Aber wir sind erst seit drei Wochen hier. Viele Kontakte haben wir noch nicht. Praktisch doch ein Problem. In unserem Fall.
Ich frage Ibu Mas, meine Sprachlehrerin. Eine geschäftliche Beziehung, die über die 35 Tage hinausgeht, denke ich, ist günstig. Sie sagt auch zu, aber nur für einen Tag. Am nächsten Tag zieht sie ihre Zusage zurück. Ich soll meinen Gastwirt fragen. Er sei ein besserer Sponsor, da ich Gast in seinem Haus bin. Wegen der offiziellen Adresse. Meint sie.
Enttäuscht und verunsichert frage ich an einem der nächsten Tage Wayan. Kein Problem für ihn. Er mache das öfter. Er habe gute Beziehungen zum Kantor Imigrasi in Denpasar, sagt er. Wir können mit seinem Moped in die Stadt fahren und die SOSBUD-Verlängerung in der nächsten Woche erledigen. Erleichtert erzähle ich Ibu Mas davon.

Unvermittelt verändert sich Wayan Verhalten mir gegenüber. Er wird seltsam. Distanziert. Ich nehme seine Veränderung hin, ohne mir Gedanken zu machen. Denke mir nichts dabei. Erst einige Tage später bemerke ich, dass er mir auweicht. Spannungen zwischen uns. Wayan wirkt bedrückt. Läuft mit einem langen Gesicht umher. Ich fühle mich in seiner Gegenwart unsicher und beklommen. Kann mir diesen Umschwung in seiner Stimmung nicht erklären. Überlege sogar, ob ihm Kassandra lästig geworden ist, die immer noch ohne Scheu überall herumstrommert. Andauernd auch im Privatbereich seiner Familie. Überlege, ob sein gönnerhaftes „Biarlah!“ und „Tidak apa-apa!“ gespielt ist. Professionell, gastgeberisch. Wir fühlen uns immer mehr geduldet als erwünscht. Beruhigen uns damit, Gäste im Homestay zu sein und zu zahlen. Aber die Stimmung war verdorben.

An einem Samstagmorgen, zwei Tage bevor ich ins Kantor Imigrasi will, klärt sich alles auf. An diesem Morgen kommt Wayan zu mir und erklärt umständlich, dass er nicht allein Sponsor sein will. Es wäre besser, wenn auch Ibu Mas für mich bürge. Sie soll bescheinigen, dass sie mir Sprachunterricht gibt. Er schlägt vor, sie gleich am nächsten Tag zu besuchen und alles mit ihr zu besprechen. Ich spüre Wayans Erleichterung und stimme zu.

Am späten Nachmittag des nächsten Tages fahren wir mit dem Moped nach Kemenuh. Unser Weg führt über Nebenstraßen durch kleine Kampongs und durch Reisfelder. Eine schöne und kurzweilige Fahrt bis zum Haus von Ibu Mas. Natürlich kommen wir ungelegen. Unangemeldet. Ganz balische Höflichkeit bestreitet Ibu Mas meinen Verdacht. Ich habe gleich ein komisches Gefühl bei dieser Zeit gehabt. Wayan hält diesen Termin aber für optmal. Er muss es ja wissen. Er ist hier zu Hause, ist mit Etiquette, Sitten und Gebräuchen, vertrauter als ich.

Ibu Mas bewirtet niederländische Gäste, die sie zum Essen eingeladen hat. Als wir eintreffen schöpft sie denen gerade ihre Suppe ein. Ungünstiger konnte es gar nicht kommen.

Wir warten im auf sie in einer der Balais in ihrem Garten. Als sie schließlich zu uns kommt erklärt ihr Wayan den Grund unseres Besuchs. Ich glaube nicht richtig zu hören. Umständlich erklärt nämlich Wayan meiner Lehrerin, dass ich ihn bat, er solle für mich bei der Kantor Immigrasi bürgen. Er könne dies aber nicht machen allenfalls seine Adresse als meinen zeitweisen Aufenthaltsort angeben. Er bittet Mas die Bürgschaft zu übernehmen. Ich bemerke keine Verärgerung bei ihr. Sie lässt sich nichts anmerken und stimmt Wayans Bitte unverzüglich zu. Ich komme mir vor wie ein Verhandlungsgegenstand. Niemand fragt mich, niemand spricht mit mir. Die beiden verhandeln über mich und meine Zustimmung ist nicht gefragt. Wozu auch? Die beiden einigen sich darauf, am nächsten Tag die noch fehlenden Antragsunterlagen anzufertigen.

Ich ärgere mich über Wayans Verhalten. Sein Verhalten ist mir peinlich. Ibu Mas beruhigt mich und meint, kein Problem, tidak apa-apa. Sie sagt, mein unzulängliches Indonesisch hätte zu einem Missverständnis geführt. Zu welchem sagte sie mir nicht. Ich ließ sie bei dieser Meinung, was aber sicher, Wayan nicht falsch verstanden zu haben.

In meinem Bemühen um eine Visaverlängerung begegne ich erstmals einer indonesischen Eigenart, die für mich noch einige komische, peinliche und ärgerliche Erfahrungen bereit hält. Omong kosong! Leeres Gerede! Small Talk, unverbindliches Geplauder ohne feste Absicht. Alles wird zugesagt. Nur für den Moment. Konfliktvermeidung und Harmonie. Kulturelle Werte. Im nächsten ist alles wieder vergessen. Und niemand kommt auf die Idee, in dieser Haltung Versprochenes wirklich einzufordern. Nur ich. Das Greenhorn.

Außerdem umfasst meine Beziehung zu Wayan nicht solche Gefälligkeiten. Ihm ist es nicht geheuer, für mich, den Fremden, den Touristen, Verantwortung zu übernehmen. Für eine ihm fremde Familie. Von der er weiß, dass sie bald nach Timor aufbricht und sich seiner Kontrolle entzieht. Das Kantor Imigrasi bleibt in Denpasar und in seiner Nähe. Eine Woche lang quälte ihn dieser Gedanke und er muss wohl nach einer Lösung gesucht haben sein voreiliges Versprechen loszuwerden. Ich bedauerte, ihn in einen solchen Gewissenskonflikt gebracht zu haben. Ibu Mas hätte wissen müssen, dass ihr Rat, mich an Wayan zu wenden, so enden musste. Hatte sie selbst ähnliche Gedanken?

Für Ibu Mas ist meine Visaverlängerung reine Formsache. Ich sehe nicht, dass ihr dies Probleme oder Kopfzerbrechen bereitet. Sie kennt sich aus. Verfügt über alle notwendigen Informationen. Sie hat für ihre Schüler schon häufiger bei der Einwanderungsbehörde gebürgt. Äußerst professionell geht sie die ganze Angelegenheit an. Am nächsten Morgen erklärt sie mir dann auch, dass die erste Verlängerung eine Formsache sei. Nichts Besonderes. Ich solle angeben, ich besuche Freunde. Ihr Büro in Denpasar stellt mir die beiden ersehnten Formulare aus, den Surat Sponsor sowie den Surat Jaminan Sponsor. Sie erklärt für mich und meine Familie zu bürgen und eventuelle Haftungen zu übernehmen. Außerdem erklärt sie, dass sie im gegebenen Fall für unsere Ausreise Sorge tragen wird. Sie gibt mir noch einen Brief an eine Freundin mit, die im Kantor Imigrasi arbeitet, und die sie telefonisch informiert. Anders als der prahlerische Wayan besitzt sie wirkliche Beziehungen in dieser Behörde. Ob Geld oder Gefälligkeiten ausgetauscht werden erfahre ich nicht.

Mit allen Unterlagen für meine Visumverlängerung ausgerüstet fährt mich der Chauffeur von Ibu Mas nach Renon ins Kantor Imigrasi. Zwei Beamte überprüfen meine Papiere. Sie verlangen weitere Bescheinigungen. Fordern eine Rekomendasi vom Kantor Pendidikan dan Kebudayaan (PDANK). Des Sprachstudiums wegen.

In der Hektik der letzten Stunden habe ich vergessen das Antragsformular zu ändern. Die mit Wayan ausgefüllten Formulare lauten auf Sprachaufenthalt, Ibu Mas begründet meinen Aufenthalt mit dem Besuch bei Freunden. Sich widersprechende Gründe. Ibu Karniati, die Freundin von Ibu Mas, hilft weiter. Sie arbeitet in einem Büro in ersten Stock, sitzt dort zwischen Regalen, vollgestopft mit vergilbten Akten. Ich erkläre ihr mein Problem, zeigte ihr den Brief von Ibu Mas und gewinne eine wertvolle Helferin. Ibu Karniati nimmt mich an die Hand, die Initiative. Sie redet mit ihren Kollegen in der Visa-Abteilung, spricht von einem Missverständnis. Wieder sind meine schlechten Sprachkenntnisse schuld. Weist eindringlich auf die soziale Stellung von Ida Ayu Agung Mas hin, einer Brahmanin, die meine Sponsorin ist. Mein Erstaunen ist grenzenlos.

Ich bekomme die Erlaubnis, die fehlerhaften Formulare neu auszufüllen. Ibu Karniati verfolgt den bürokratische Prozess über mehrere Schreibtische und nach knapp drei Stunden fahre ich mit den frischen Stempeln meiner Visaverlängerung, auf die andere bis zu fünf Tage warten müssen, nach Peliatan zurück. Alles eine Sache des richtigen Sponsors. Wayan sei Dank! Ida Ayu Agung Mas. Wer hätte das gedacht? Der richtige Name für Bali, eine potente Unterstützerin, ein machtvoller Beistand. Mein Dank an Ibu Mas.

Mein Verhältnis zu Wayan bleibt gespannt. Trotzdem bleiben wir noch längere Zeit in Peliatan, in Sitis Homestay. Jetzt ein Ortwechsel. Das tut Kassandra nicht gut, die sich gut eingewöhnt hat. Heidrun meint immer noch, dass die Angestellten des Losmen und Wayans Kinder unsere Tochter hänseln, gibt es immer wieder Zeiten, in denen sich Kassandra wohl fühlt. Momente, in denen sie Spass am Spiel mit Wayans Töchtern hat, mit ihnen tobt und scherzt. Momente, in denen sie völlig ignoriert wird, was ihr große Probleme bereitet, was sie nicht versteht. Oft kommt sie weinend und verstört aus einem der Balais und sucht Trost und Unterstützung. Trotzdem ist Sitis Homestay ein guter Einstieg in diese fremde Welt. Einige Wochen später sehen wir aber auch, dass sie Peliatan und Sitis Homestay keine Träne nachweint.

Der erste Monat in Peliatan kreist um Kassandras Gesundheit. Nur mein Spachkurs in Kemenuh erinnert an den Grund meines Anwesenheit. Pläne, Südbali zu erkunden, Ausflüge zu machen, Sehenswertes zu entdecken, die Fotos zu machen, die ich vor fünf Jahren nicht machte, verliefen größtenteils im Sand. Wir kommen bis zur Goa Gajah, der Elefantenhöhle, einem Wasserheiligtum. Eine Enttäuschung erwartet mich dort. Der Ort hat sich verändert. Sein heutiger Zustand konkurriert mit meiner Erinnerung. Der beeindruckende Höhleneingang der alten buddhistischen Einsiedelei, in Form des Verschlingers gestaltet, mit dem einige Jahrhunderte später angelegten Bad im Vordergrund, war durch neue Schreine und Balais völlig zugebaut. Seiner Atmosphäre beraubt, die ich bei meinem letzten Besuch wahrgenehmen hatte.

Die Natur in der Umgebung des Heiligtum hat alle Eigriffe, trotz neuer Gebäude, relativ unbeschadet überstanden. Nichts hat die Landschaft von ihrer urtümlichen Schönheit eingebüßt. Üppige Vegetation, ein Wasserfall, Quellen, die steinerne Becken sprudeln, aus dem anstehenden Fels gehauen. Becken in Form einer Yoni prägen auch jetzt Schönheit und Stimmung dieses Ortes.

Keiner der zahlreichen Touristen, busladungsweise abgeladen, verläuft sich nach hier unten. Menschen aus aller Herren Länder, den uniformen grünen Anstandssarung über ihren kurzen Hosen, schleust man auf die Schnelle durch die Höhle in deren Apsis sich ein kleiner Altar befindet. Ich erinnere mich, trete nicht in die Höhle ein. Verweile an diesem Ort der Ruhe und Harmonie, unmittelbar am Rande touristischen Treibens. Sitze stundenlang im Schatten sitzen und lasse meinen Gedanken treiben.

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