Die Batiktextilien Javas

Literaturliste: Batik in Zentral- und Nord-Java

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1993 Batik or plagiate? How to distinguish between Batik Tulis, Batik Cap and direct prints, in: Nabholz-Kartaschoff, weaving pattern, S.449-455
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1914 De Batikkunst in Nederlandsch-Indië, Utrecht
Solyom, G. & B. Solyom
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Veldhuisen-Djajasoebrata, A.
1973 Batik op Java, Lochem
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Wibisono, P.
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Wisseman Christie, J.
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Ein kurzer historischer Überblick

Die Insel Java spielt seit jeher eine besondere Rolle im indonesischen Archipel. Günstige klimatische Bedingungen, intensive Landwirtschaft und größte Bevölkerungsdichte mögen zur vorherrschenden Stellung der javanischen Kultur geführt haben.

Migranten aus Hinterindien haben schon im Neolithikum den Nassreisfeldbau eingeführt, der mindestens zwei Ernten pro Jahr ermöglicht. Die arbeitsintensive Wirtschaftsform erforderte den Zusammenschluss mehrerer Dorfgemeinschaften, die unter der Leitung eines Führers standen. Das Dorfs dieses Funktionsträgers erhielt eine Vorrangstellung, sodass sich im Laufe der Zeit politische Zentren mit Machteliten und Bürokratie herausbildeten – die sogenannten kraton. Der Unterhalt dieser Zentren wurde einerseits durch Besteuerung und Dienstverpflichtung der Bevölkerung gesichert. Andererseits ergaben sich weitere Einnahmequelle durch Zölle aus einem blühenden Seehandel.

Java war für Jahrhunderte das Ziel von Handelsschiffen von und nach Arabien, Indien, Malaysia und China. Seit der zweiten Hälfte des 1. nachchristlichen Jahrhunderts verbreitete sich indischer Kultureinfluss entlang dieser Handelswege. Vermittelt durch indische Brahmanen kam es zu einer religiösen Erneuerung und der Shivaismus gelangte in die javanischen Kraton. Von dort wurde er dann über ganz Java verbreitet. Der indische Kultureinfluss ist darüber hinaus für eine Optimierung der politischen Ordnung Javas verantwortlich, da die Kraton-Oligarchie mit Hilfe der indischen Symbolsysteme ihre Vorrangstellung weiter ausbauen konnte. Neue Impulse in Architektur und Kunst verdankt Java ebenfalls indischem Einfluss. In Verbindung mir alt-javanischen Vorstellungen entstand so allmählich die heute als hindu-javanisch bezeichnete Kultur.

Im 14. und 15. Jahrhundert gewann der Islam entlang der Handelsrouten Südostasiens und an den javanischen Höfen (kraton) immer mehr an Einfluss. Die letzte hinduistische Dynastie, Majapahit, hielt den neuen religiösen Tendenzen nicht mehr stand und Ende des 14.Jahrhundert flohen die letzten ihrer Mitglieder von Ost-Java nach Bali, wo sie die hinduistische Tradition Javas bis heute fortsetzen.

Der europäische Einfluss, d.h. der niederländische, verstärkt erst Ende des 19.Jahrhunderts auf die javanische Kultur. Besonders deutlich zeigt sich dieser Einfluss in der Musterung der Batik-Textilien der javanischen Nordküste (vgl. H.C. Veldhuisen). Chinesische Gemeinden setzen seit dieser Zeit ebenfalls deutliche Akzente in der Batikmusterung.

Batik: Eine textile Reservierungstechnik

Batik ist eine textile Verzierungstechnik, die wie Ikat in die Gruppe der Reservierungstechniken gehört. Handelt es sich bei der Ikattechnik um die Reservierung von Fadengruppen, so ist das Batiken das Reservieren von Mustern durch Wachs und anschließendes Färben.

Batik ist ein Stoffmusterungs- und Färbeverfahren, bei dem die Muster mit Wachs abgedeckt (reserviert) werden. Der Wachsauftrag erfolgt entweder frei aus der Hand oder mit einem tjanting. Dieser Tjanting ist eine kleine Kupferkanne zur Aufnahme des flüssigen Wachses. Dieses Gerät besitzt einen hölzernem Griff und eine feine Gießtülle, aus der das heiße Wachs fließen kann. Je nach Bedarf, sind ist der Durchmesser dieser Tülle unterschiedlich.

Die Musterung des Stoffes wird entweder durch eine Vorzeichnung des Musters vorbereitet oder je nach dem, wie geübt die Batikerin ist, gleich mit dem Tjanting und frei aus dem Gedächtnis gezeichnet. Nach dem Färben und Entfernen des Wachses erscheint das Muster in der Grundfarbe des Stoffes. Bei mehreren Färbungen, bei einem mehrfarbigen Muster also, sind mehrere Wachsabdeckungen (Reserven) erforderlich.
Batikmuster werden außerdem mit einem kupfernen Stempel (tjap) aufgedruckt (für eine kurzgefasste Beschreibung der Technik vgl. Khan Majlis, Götter, S.360.

Es ist unwahrscheinlich, davon auszugehen, dass sich die Batiktechnik in Java selbst entwickelt hat. Eine Wachsverzierungstechnik mit Hilfe einer Feder wird in Indien schon seit Jahrhunderten von Männern ausgeübt. Indische Batikstoffe gehörten im 17.Jahrhundert zu den begehrtesten Handelsgütern in Aceh und Palembang. Auch niederländische Quellen berichten darüber, dass die Frauen an javanischen Fürstenhöfen blau-weiß gemusterte Batiken herstellten. Blau-weiß gemusterte Kleidung ist bis heute bei den abgeschlossen lebenden Badui im äußersten Westen Javas durch die lokale Adat vorgeschrieben. Rouffaer (1914:440) meint, dass der Begriff Batik erstmals in dieser Zeit aufgekommen ist. Sollte die javanische Wachsreservierung wirklich indischen Ursprungs sein, so ist es nicht weiter verwunderlich, dass in Java Frauen diese Technik übernommen haben. Textilproduktion und -musterung ist im ganzen Archipel Frauensache.

Aber erst der in Java entwickelte Tjanting ermöglichte die heutige Kompliziertheit und Vervollkommnung der Musterung.
Eine weitere Voraussetzung für eine hochentwickelte Musterung waren feine Baumwollstoffe, die zuerst aus Indien, später aus Europa eingeführt wurden.
Da dieses Material teuer war beschränkte sich die Batikproduktion für lange Zeit auf die javanischen Höfe. Die arbeitsintensive Musterung verlangte außerdem die Entlassung von Frauen aus dem Produktionsprozess, sodass schon ein bestimmtes Mehrprodukt erzeugt werden musste, bevor die Batikmusterung ein höheres Niveau erreichen konnte. Voraussetzungen wie diese bestanden lange Zeit nur am Kraton und in den späteren Werkstätten der Künstlervereinigungen.
Die hochentwickelte Stoffverzierung durch Batik-Technik kam erst relativ spät – wahrscheinlich im 16.Jahrhundert unter islamischem Einfluss – zur Blüte.

Die 4+1-Struktur als Basis zentral-javanischer Batikmotive

Alit Veldhuisen-Djajasoebrata (1980:201-221) analysiert einige der larangan-Motive der Kraton-Höfe in Surakarta und Yogyakarta. Vor allem beschäftigt sie sich mit der Motivkategorie ceplok oder ceplokan und deren Subkategorie der kawung-Motivik. Wie Sie sich vielleicht erinnern werden, handelt es sich bei diesen Motiven vorwiegend um Rechtecke, Rauten und rautenartige Formen mit einem Zentrum. Solche geometrischen Formen sind symmetrisch einander zugeordnet und bilden eng aneinander liegende Reihen, die die gesamte textile Fläche bedecken.
Textilien, die so gemustert sind, waren nie Alltagskleidung, sondern erfüllten bestimmte Funktionen in den Ritualen der Kraton-Höfe Zentral-Javas.

Eins der fundamentalsten Bestandteile der alt-javanischen kajawen-Philosophie ist das Machtkonzept. Betrachten wir Macht als eine abstrakte Größe, geht der Javaner davon aus, dass Macht konkret ist. Macht existiert für ihn unabhängig von Inhabern oder Verwendern. Macht ist eine nicht greifbare, mysteriöse oder göttliche Energie, die den Kosmos belebt. Macht kann sich prinzipiell in jedem Gegenstand manifestieren, sodass die scharfe Grenze westlicher Philosophie zwischen organischer und nicht-organischer Natur aufgehoben wird. Der ganze Kosmos ist erfüllt von gestaltloser, ständig kreativer Energie (Anderson, 1972:7).
Die Quintessenz freier kosmischer Macht wird durch das Geheimnis des Lebens selbst ausgedrückt. Der kontinuierliche Prozess von Zeugung und Erneuerung ist das höchste Mysterium des Lebens. Im Kajawen-Mystizismus strebt der Mensch danach die kosmische Realität zu beeinflussen und zu steuern und seinen Platz im Kosmos zu definieren. Das javanische Modell des Kosmos dient ihm, via religiöser Erfahrung, dazu den menschlichen Mikrokosmos zu gestalten und die Kräfte des Chaos und der Ordnung im Gleichgewicht zu halten.
Kajawen-Mystik besitzt Relevanz für die Praxis der Batikproduktion. Ein beliebte Metapher, die mystische Erfahrung zum Ausdruck bringt, lautet: mbatik manah, das heißt: ein Batikmotiv in das Herz zeichnen. Beides, mystische Versenkung und die Herstellung eines Batikmusters erfordern ein hohes Maß an Konzentration.

Gut untersucht ist diese javanische Konzeption konkreter, frei verfügbarer Macht im Zusammenhang mit politischen Ordnungsvorstellungen in Java und anderenorts in Indonesien.
Im menschlich gestalteten Mikrokosmos besitzt derjenige die größten Fähigkeiten und das meiste Prestige, der in der Lage ist Macht an seiner Person anzulagern. Wie selbstverständlich fallen ihm Führungsqualität und die Aufgabe zu, die Gemeinschaft zu beschützen und beschirmen.
In dieser Welt verkörpert der Herrscher die höchste Konzentration von Macht. Sein Ursprung wird vergöttlicht. Er ist Zentrum und Ausgangspunkt der segensreichen und Leben gebenden Macht, die von seiner Person aus in alle Himmelrichtungen seines Reiches verströmt.

Manca-pat: Die 4+1-Struktur und ihre Widerspiegelung in den Batikmotiven

Alit Veldhuisen-Djajasoebrata sieht diese Vorstellung von Macht in den ceplokan genannten Batikmotiven visualisiert. Das Zentrum dieser Motive kann als Quelle der Macht angesehen werden, die von dort aus in die vier Himmelsrichtungen fließt.
Um ihre These zu unterstützen führt sie drei niederländische Wissenschaftler an, die in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts ein javanisches Klassifikationssystem beschrieben haben, welches die gerade zitierten Vorstellungen von Macht praktisch umsetzt. Auffällig ist an diesem System, dass es immer zentripetal organisiert ist:

  • Rouffaer hatte schon 1905 (587-653) darauf hingewiesen, dass die heiligen Fünf, nämlich vier politische Funktionsträger (jav. mantri), die den Kopf oder das Zentrum umgaben, Kern der javanischen Verwaltung waren. Rouffaer betonte, dass die Stabilität einer politischen Gemeinschaft erst hergestellt ist, wenn die Positionen der höfischen Bürokratie im richtigen räumlichen Verhältnis zum Herrscher definiert sind. Auf dem Thron sitzend, so Rouffaer, umgeben die untergeordneten Beamten den Herrscher in konzentrischen und semi-konzentrischen Kreisen.
  • van Ossenbruggen diskutiert in seinem Aufsatz die territorialen Ordnungen in Java (1977:30-60). Ihm war aufgefallen, dass javanische Dörfer in vier-fünfer Gruppierungen organisiert waren und zwar so,dass immer ein Dorf im Zentrum, die anderen vier entsprechend der Himmelsrichtungen lagen. Ähnliche Gliederungen fand van Ossenbruggen in der dörflichen Administration und der Rechtsprechung wirksam.
    Er beschriebt ausführlich das alt-javanische manca-pat-System javanischer Ordnungsvorstellungen. Manca-pat bedeutet wörtlich die äußeren Vier. Es handelt sich hier um ein Konzept der Verteilung politischer Macht und territorialer Einflussnahme in Bezug auf das Verhältnis von Legislative und Exekutive. Immer gliedert sich das manca-pat-System politischer Macht in eine zentrale Position und in vier periphere Positionen, die sich auf die vier Himmelsrichtungen beziehen. Differenzierungen der 4+1-Struktur wie 4+4+1 oder 8+1 etc. sind ebenfalls verbreitet. Reduzierungen wie 2+1-Struktur sind ebenfalls möglich (vgl. Nope in Timor; ind. Trimurti; christliche Dreifaltigkeit). Als weiteres Beispiel verweist van Ossenbruggen auf die vier wedana jero (die Beamten des Inneren) und den patih jaba (den Vorsteher der Peripherie) und seine vier wedana jaba, die untergeordneten Beamten der Peripherie.
    Rouffaer erwähnt im gleichen Zusammenhang den patih jaba von Kartasura, der um 1700 über acht untergeordnete bupati jaba verfügte sowie die neun wali, die den Islam in Java verbreitet haben (1905:612).
    Pigeau ist davon überzeugt, dass die 4+1-Struktur in Indonesien schon vor der Hinduisierung verwendet wurde und er schreibt über deren Ursprung: Many elements of Javanese culture, although partially in accordance with what we know of Sanskrit civilization, are actually derived from an older stratum: the culture of Austro-Asiatic language speakers, which was also one of the bases of Sanskrit culture (S.79).
  • In der Nachfolge von Rouffaer und van Ossenbruggen legte Pigeaud dieses Klassifikationssystem auch in der javanischen Wahrsagerei offen (1977:60-83).
    Wie im Zusammenhang mit dem javanischen Machtkonzept schon deutlich wurde, hängt für den Javaner alles mit allem zusammen. Komplexe und mannigfaltige Enge Korrespondenzen verbinden die Gegenstände der Welt mit einander, sodass der Kosmos zu einem interdependentem System wird. Korrespondenz in diesem Sinne bedeutet, dass das eine Element einer Kategorie unter gewissen Umständen mit einem Element einer anderen Kategorie eine so enge Verbindung eingeht, dass Manipulationen eines der Elemente sich unmittelbar auf das zweite auswirken. Beispiele wären der Zusammenhang von Wochentag, Farbe, Himmelsrichtung und Charakter etc. Die Wahrsagekunst der Javaner (petungan) trägt dieser Überzeugung Rechnung und bringt ihre Kategorien ebenfalls in einem 4+1-System unter.

Zentral-Java und West-Timor: Gestalt und Bedeutung textiler Motive

Die gerade vorgestellte 4+1-Struktur existiert nicht nur als theoretische Grundlage politischer oder staatsrechtlicher Legitimation der Machtverteilung in der javanischen Gesellschaft.
Die manca-pat oder Kompass-Struktur, wie sie Veldhuisen-Djajasoebrata nennt, findet sich als Visualisierung auf indonesischen Textilien wieder. Zwei Beispiele mögen genügen:

Batikmotive aus Zentral-Java

Einige der Batikmotive aus der larangan-Kategorie sind mehr als nur schmückende Verzierungen: Sie repräsentieren metaphysische Spekulationen über die Ordnung des Kosmos und über (identische) sozio-politische Organisation der javanischen Gesellschaft:

Motiv 1: kawung: Frucht der Aren-Palme; Motiv der ceplok-Kategorie; Visualisierung der 4+1-Struktur.
Motiv 2: kawung picis: Kawung von der Größe eines Zehncentstücks; Motiv der ceplok-Kategorie; Visualisierung der 4+1-Struktur.

Ikatmotive aus West-Timor

Das `kaif-Motiv als Visualisierung der 4+1-Struktur:

Motiv 1: Die `kai mnutu-Motive und ihre formale Ähnlichkeit mit dem parang rusak-Motiv.

Die Semem-Motivik – Orientierung

In Zentral-Java gibt es eine große Gruppe von Batiktextilien, deren Musterung mit dem sehr verallgemeinernden Namen semen bezeichnet wird. Charakteristisch für diese Motiv-Kategorie ist die Komplexität ineinander übergehender Musterungselemente, die in eine Vielzahl verschlungener Rauten und knospender Pflanzen eingebettet sind. Wahrscheinlich aus diesem Grund trägt diese Motivkategorie die Bezeichnung semen, von semi, keimen, sprossen.
Obwohl die semen-Kategorie in der Regel in der traditionellen Farbgebung indigo und soga auftritt, sind Variationen der Gestaltung theoretisch grenzenlos.
In Java unterscheidet man spezifische Versionen von Semen-Musterungen, die jeweils eigene Namen tragen wie beispielsweise semen gunung, semen cuiri, semen rama etc. Die Namen selbst beziehen sich auf die Präsentation und auf die Anordnung der verschiedenen Motivelemente im Rahmen der Musterung.

Die meisten Semen-Musterungen variieren eine basale Konfiguration (Anordnung) von Motiv-Elementen:

  • eine zentrale Pflanzenform, gewöhnlich mit drei oder fünf Ästen und einer hervorgehobenen Wurzel;
  • in Verbindung mit dieser Pflanze: Berge, Schwingen, Pavillions (candi), Tiere;
  • sekundärer Pflanzenbewuchs.

Nicht immer sind alle möglichen Motiv-Elemente in einer Musterung kombiniert oder auf einem Batik-Tuch vorhanden. Regeln, die die Motiv-Kombination innerhalb einer Semen-Musterung festlegen sind nicht bekannt und es ist ebenfalls unbekannt, ob jede Variation einer bestimmten Semen-Version mit eigenem Namen eine abweichende Bedeutung besitzt.
Jedenfalls sind die Musterungen dermaßen dicht mit Motiven ausgestattet, daß selbst die Produzenten nicht immer individuelle Motiv-Elemente isolieren können (G. und B. Solyom, 1980:248). Die Bedeutung dieser Motiv-Elemente ist in diesem Jahrhundert immer viel- und mehrdeutiger oder ornamentaler geworden, je mehr die eigentliche Bedeutung der Musterung in den Hintergrund gerät.

Drei einleitende Thesen

Bevor ich detailliert auf die Ikonographie der Semen-Musterung eingehe, zu Beginn unkommentiert einige Thesen als knappe Hintergrundinformation, die für das Verständnis dieser Motivik relevant sind:

  • In der vorigen Woche wurde die Semen-Motivik javanischer Batiken als Bestandteil der Larangan-Kategorie der zentral-javanischen Kraton-Höfe von Surakarta und Yogyakarta vorgestellt. Wie Sie sich erinnern werden, war diese Motiv-Kategorie für die engen Verwandten der Regenten sowie der hohen politischen Funktionsträger des Kraton reserviert.
  • Wie ihre indische Vorbilder waren die Kraton-Höfe der zentral-javanischen Herrscher Miniaturmodelle der kosmischen Ordnung (Mikrokosmos im Makrokosmos).
    Architektur und Landschaftsgestaltung haben über mehrere Jahrhunderte hinweg eine, von kosmischen Symbolen geprägte Wohnlandschaft geschaffen, in der der vergöttlichte Herrscher angemessen leben konnte, und die seine Herkunft und Position allgegenwärtig, in materialisierter Gestalt formulierte.
  • Die Kraton-Höfe der hindu-javanischen Periode und ihre Bewohner umgaben sich im wahrsten Sinne des Wortes mit kaum aufzulösenden Komplexität kosmischer Symbole.
    Es ist aus diesem Grund kaum denkbar, dass diese kosmischen Symbole nicht letztendlich auch in der Musterung derjenigen Textilien erscheint, deren Funktion und Verwendung mit den Höfen verbunden ist.

Die zentrale Pflanzenmotivik des Semen: Ikonographische Details

Den Hauptteil einer Semen-Batik nehmen stilisierte, zusammengesetzte Pflanzenformen ein.
In ihrer einfachsten Ausführung besteht eine solche Pflanze (als Basis-Gestalt)

  • aus einem Stamm, der von einem zentralen Knoten oder Kern aus aufsteigt.
  • Der Stamm selbst endet dann in einer großen Knospe, einer Blüte oder einem Blatt.
  • Gelegentlich ist diese Knospe sehr massiv und ersetzt in diesem Fall den Stamm.
  • Des weiteren besitzt der Stamm am oberen Ende hierarchisch angeordnete Seitenäste, die selbst Knospen und Blätter tragen – in der Regel weisen die Äste aufwärts, manchmal winden sie sich auch nach unten.
  • Es kommt auch vor, dass die Äste weiter in kleinere Zweige unterteilt sind.
  • Gewöhnlich besitzt der Baumstamm auch Wurzeln, die sich entweder aus dem zentralen Knoten schlängeln oder von den Seitenästen herab baumeln.
  • In vielen Fällen schlingen sich die Wurzeln auch um den Baumstamm oder enden in Gruppen spitz zulaufender Fortsätze.

Sehr aufschlussreich sind auch die vielfältigen Variationen dieser Basis-Gestalt der Pflanzenmotivik einer Semen-Batik:

  • manchmal fehlen die Wurzeln;
  • manchmal sind die Seitenäste nicht mit dem zentralen Stamm verbunden;
  • manchmal suggeriert ihr gewundener Verlauf die Kiellinie eines Schiffes.

Die zentrale Pflanze kann auch doppelt vorhanden, das heißt sie wird durch eine weitere Pflanze ergänzt. Diese zweite, sehr ähnliche Pflanze

  • scheint aus der ersten hervorzuwachsen,
  • befindet sich oberhalb von der ersten
  • oder wurzelt unmittelbar in der ersten Pflanze.

Neben der Verdoppelung der zentralen Pflanze kommt es auch vor, dass die Pflanzenform auf den Kopf gestellt wird (Inversion). Auf den Kopf gestellt bedeutet, dass der Stamm herumgedreht wird, sodass die Wurzeln nach oben, die Äste nach unten weisen.
Manchmal entspringen die Wurzeln der inverten Pflanze aus dem gleichen Knoten, ooer wachsen dicht daneben wie die einer aufrecht stehenden Pflanze.

  • In diesem Fall bestehen sie dann aus einer dicken zentralen Knospe und einem Paar Seitenästen.
  • In diesem Fall endet dann ebenfalls häufig in einer Lingga-ähnlichen Form mit drei oder fünf Kugeln auf der Spitze.
  • In seiner deutlichsten Erscheinung handelt es sich um einen, von anderen Motiv-Elementen unabhängigen, großen umgekehrten Baumstamm: Dessen nach innen gedrehte Wurzeln strecken sich aufwärts; sein Stamm besteht aus einer einzelnen dünnen oder zwei parallelen Linien; seine Äste gehen strahlenförmig auseinander und bilden eine kreisförmige Gestalt am oberen Ende des Stamms – umgeben sind sie von einer Fluidum von weißen Tupfen.

Eine Interpretationen der Pflanzensymbolik der Semen-Motivik

Trotz ihrer Komplexität ergeben sich interpretatorische Ansätze dieser Pflanzensymbolik. Allgemein wird diese Version javanische Batik-Musterung als Impuls auf indische, und das heißt hindu-buddhistische, Überzeugungen aufgefasst.
Indische, javanische und balinesische Literatur und Ikonographie enthalten eine Vielzahl von Belegen für den Zusammenhang von Pflanzensymbolik und indischem Gedankengut (vgl. vor allem Bosch, F.D.K., The Golden Germ, ´s-Gravenhage, 1960).
Die Semen-Pflanzensymbolik wird in diesem Sinne als eine Repräsentation des Kosmos und als Aussage über die Natur des Makrokosmos aufgefasst. Bäume und Pflanzen wie Lotus und Orchidee – in verschiedener Kombination miteinander – garantieren diese Aussage auf den javanischen Semen-Batiken. Einige Anmerkungen zu dieser umfangreichen Thematik mögen in diesem Zusammenhang genügen:

Die Baum-Lotus-Motivik:

  • In indischen Schöpfungsmythen wächst ein Baum aus dem Nabel eines urzeitlichen Wesens und entfaltet sich zum kosmischen Baum.
    In der indischen und indonesischen Mythologie gibt es verschiedene Repräsentationen dieses kosmischen Baums:
    — der Lebensbaum
    — der Weltenbaum
    — der Pfosten, der den Himmel stützt
    — die Weltachse
    — der Lingga als männlich-schöpferisches Symbol.
  • In anderen indischen Mythen symbolisiert die Lotus-Pflanze eine vitale schöpferische Energie, die zuerst im Urwasser wuchs. Die besonderen Qualitäten der Lotus-Pflanze schwanken von Mythe zu Mythe. Deutlich ist jedoch ihr Bezug zum Weiblichen und zum Wasser.
    — Die hängenden Wurzel der Semen-Motivik gehören zur Lotus-Pflanze.
    — Die Knoten des Lotus-Rhizoms sind in der Semen-Motivik durch spezifische Baumformen mit eignen Knoten und Blättern vertreten.
    Die Baum- und Lotus-Motivik auf den Semen-Textilien symbolisieren gemeinsam die polare Ordnung des Kosmos:
    — Baum = männlich = Himmel
    — Lotus = weiblich = Wasser (d.i. Erde).

Die Symbolik der verdoppelten Pflanze

In vielen Fällen wächst der Baum nicht direkt aus einem Knoten des Lotus-Rhizoms, sondern gleich aus der zentralen Knospe der Lotus-Pflanze. Dieses Motiv bildet eine Pflanzengemeinschaft von Baum und Lotus ab. Baum und Lotus bilden wiederum eine Gemeinschaft, die sich gegenseitig ergänzen und entsprechen.
Auch hier handelt es sich möglicherweise um eine Darstellung des kosmischen Baums, die Wurzeln oberhalb der Erde. Seine Entsprechung, die Lotus-Pflanze, wurzelt im Erdinneren, in den unterirdischen Gewässern.
Der Hinweis auf tatsächliche Bäume liegt auf der Hand: der Waringin-Baum mit seinen Luftwurzeln und den Orchideen, die als Epiphyten auf seinen Ästen leben ist in ganz Indonesien verbreitet und gilt noch heute in vielen Regionen als „heiliger Baum“. Orchidee und Jasmin ersetzen in der javanischen Ikonographie häufig die Lotus-Pflanze – und Orchideen (anggrek) sind auch von Keris-Schneiden bekannt.

Die Symbolik des umgedrehten Baumes

Der umgekehrte Baum wurde in Bezug auf die Semen-Motivik selten erwähnt. Dennoch bildet er ein bedeutendes Motiv-Element dieser Musterung.
Die Idee des umgekehrten Baumes erscheint unter dem Namem waringin sungsang (sungsang , falsch herum) in vielen indonesischen und malaiischen volkstümlichen Erzählungen, Legenden und Rätseln, aber auch in religiösen Anrufungen und magischen Formeln (vgl. Bosch, 1960:246).
Bekannt ist der umgekehrte Baum vor allem aus Ost-Indonesien:

  • In Roti wird während landwirtschaftliche Rituale ein junger Waringin-Baum ausgerissen und rituell neu gepflanzt – und zwar mit den Wurzeln nach oben und den Zweigen nach unten.
    Nach einiger Zeit erscheinen neue Triebe und Blätter an den Wurzeln und belegen seine Regenerationskraft, die im Ritual die kosmische Erneuerung symbolisiert.
  • Der „Alter“ der Atoin Meto in West-Timor – der sogenannte tola ist nichts anderes als ein umgekehrt ein gepflanzter Baumstamm. Die drei nach oben weisenden Wurzeln dieses Stammes repräsentieren die drei kosmischen Ebenen. In allen vorchristlichen Ritualen der Atoin Meto nahm dieser Baum eine prominente Position ein. Außerdem repräsentierte er den Nabel von Dorf, Reich und Kosmos.

Neben der gerade geschilderten Pflanzenmotivik finden sich auf den Semen-Tüchern andere Hauptmotive, die sich vor dem vegetabilischen Hintergrund als isolierte Einzelmotive abheben. Zu diesen Einzelmotiven gehören Bergsilhouette, Vogelschwingen, Gebäude und Tiere.

Die Symbolik des Berges

Jede der großen zentralen Pflanzendarstellungen, umgekehrt oder nicht, befinden sich im allgemeinen inmitten einer Berglandschaft oder erheben sich auf der Spitze eines Berges.

  • In der Regel sind diese Berge als hierarchisch arrangierte, wellenförmige Bögen auf den Zweigen oder Knospen angeordnet.
  • Da sie sehr oft weiß und nur lose miteinander verbunden sind, wächst ihnen der sekundäre Effekt zu, das Textil, entsprechend der Hauptmotive, in verschiedene -Musterungs-Segmente zu untergliedern.
  • Manchmal sind die wellenförmigen Bögen, die Bergspitzen also, von Vögeln gekrönt.
  • Die wellenförmigen Bögen können auch die Form einer Reihe von rechten Winkeln annehmen, die in diesem Fall dann einen Höhenzug oder eine Reihe von Berggipfeln suggerieren.
  • Manchmal sind die Wellenlinien in der Form von Stufen oder übereinander liegenden Schichten angeordnet. Dies ist insbesondere der Fall im Zusammenhang mit dem Motiv des umgekehrten Baumstamms.

In diesem Fall handelt es sich angeblich nicht länger um Berge, sondern die Motive werden Bestandteil der Aureole des umgekehrten Baumes.

Interpretation

Im javanischen Überzeugungssystem sind Berge

  • bedeutende heilige Orte, Aufenthaltsorte von Ahnen und Göttern.
  • Kommunikationsschnittstellen für den Kontakt zu Ahnen und Göttern.
  • Orte der Mediation und Akkumulation magischer Macht durch Askese und Reinigung.

Bergdarstellungen auf Semen-Textilien werden aber auch als Darstellung des Mahameru, des Götterbergs der indischen Mythologie aufgefasst).

Die Symbolik der Schwinge

Häufig besitzt die basale Pflanzen-Berg-Konfiguration der Semen-Motivik auf jeder Seite eine große Vogelschwinge.

  • Die Umrisslinien mancher Schwingen sind leicht als Pflanzen zu erkennen.
  • Andere besitzen identifizierbar Kopf und Körper eines Vogels.
  • Andere wiederum lassen sich eher als vollständiger Vogel auffassen, als als Vogelschwinge bezeichnen.

Interpretation

Es ist nicht zu klären, ob die Schwingen als flankierende Vögel aufgefasst werden müssen, oder ob es sich um naturalistische Vogeldarstellungen handelt, die sich aus den Schwingen entwickelt haben.
Bosch (1960:181) ist der Auffassung,

  • dass sich die Schwingen aus ursprünglichen vegetabilischen Formen entwickelten,
  • und dass sie möglicherweise als Attribute des kosmischem Berges (des Mahameru) interpretiert werden müssen. In diesem Fall übernehmen sie die Aufgabe, den Ort der gesamten Semen-Motivik in kosmische Dimensionen zu übertragen.
    Auf symbolische Weise gelten Flügel außerdem (Coomaraswamy, 1936:134)1) als Attribut desjenigen, der genügend mystische Macht erworben und sich willentlich überall hin bewegen kann.

Die Symbolik der Pavillions

Ein weiteres bedeutendes Motiv ist die stufenartige Plattform, ein kleines Haus in der Form eines Pavillions. A. Veldhuisen-Djajasoebrata spricht im Zusammenhang mit diesen architektonischen Formen von einem Candi.

  • Manche der Gebäude haben eine mehr oder weniger viereckige Basis und ein dreieckiges Dach bzw. mehrere Dächer.
  • Die Dächer können außerdem eine geschichtete Abfolge aufweisen.
  • Manche besitzen nach innen gedrehte oder gewundene Seiten.
  • Häufig besitzen die Pavillions eine ähnliche Gestalt, wie die großen Knospen der zentralen Pflanze und werden deshalb leicht mit diesen verwechselt. Das erklärt, warum diese Dächer oft herabhängende (Luft-) Wurzel besitzen.
  • In anderen Fällen ersetzt ein Pavillion die zentrale Pflanze in den Bergen. Der Pavillion repräsentiert dann den umgekehrten Baum.

Interpretation

Die Pavillions auf Semen-Tüchern werden häufig als Candi, als Ahnengedenkstätte oder als Sanktuarium auf dem Mahameru aufgefasst.
So gesehen stellen sie Orte religiöser Verehrung oder der meditativen Versenkung dar. In diesem Sinn verstärken die architektonischen Formen auf den Semen-Textilien die symbolische Aussage der Berg-Motivik erheblich. Für diese Interpretation sprechen außerdem die flankierenden Flügel und der Hintergrund aus Rankenformen, der die Hauptmotive umgibt.
Pavillions übernahmen im alten Java folgende Funktionen, die die gegebene Interpretation weiter stützen können:

  • Sie wurden an bedeutenden Orten religiöser Aktivität im Umfeld der javanischen Höfe errichtet.
  • Sie dienten dazu, die Leiche des Verstorbenen aufzubahren. Es gibt archäologische Funde, in denen Skelettreste mit kleinen Pavillions aus Holz oder Stein vergesellschaftet sind.

Die Vogelsymbolik

Zwischen den Ranken auf Semen-Textilien befinden sich zahlreiche Vogeldarstellungen. Der Pfau mit den langen Schwanzfedern und dem hervorgehobenen Auge ist am leichtesten erkennbar. Andere zoomorphe Darstellungen erkennt man an ihren Schnäbeln, Krallen und Schwanzfedern als Vögel. Um welche Vogelart es sich im einzeln handelt, kann meistens nur vermutet werden, sie erscheinen auf den Semen-Tüchern aber in vielen verschiedenen Formen:

  • man findet sie auf den Hängen der Berge und Bergketten, wo man eigentlich Pflanzen vermutet hätte;
  • viele sind so klein und filigran, dass sie in dem Rankengewirr kaum zu erkennen sind;
  • ein häufig zu erkennendes Vogelmotiv ist das sogenannte sawat-Motiv, ein Schwingenpaar mit Schwanzfedern;
  • gelegentlich lassen sich Vogelkopf und -körper an diesen Schwingen identifizieren, sodass die Vorderansicht eines Vogels zu sehen ist.

Interpretation

Vögel repräsentieren auf beinahe ideale Weise die himmlische Sphäre. In diesem Zusammenhang sind sie das Symbol der Wahl. Stutterheim (1926:67) gelang es den Garuda als Sonnenvogel (Sonnensymbol) zu identifizieren, was sich leicht auf den goldenen Pfau (merak emas übertragen läst), den Vogel mit den langen Schwanzfedern, ein der häufigsten Semen-Motive.

Die Tiersymbolik

Andere Tiere, die ebenfalls auf den Semen-Batiken vorkommen, sind

  • Hirsche, die meist paarweise die Seiten von Berggipfeln flankieren; häufig verschwinden Geweihstangen, Schwanz, Maul und Beine ganz in der Fülle der Motivik. Häufig genug ist es nur noch das Geweih, das auf die Identität dieses Motiv-Elements hinweist, denn der restliche Körper verschwimmt in einer knolligen Form.
  • Daneben gibt es Tiere mit langen dünnen Schwänzen und halbmondförmigen Hörnern, die an Wasserbüffel erinnern.
  • Bei anderen beobachtbaren Tieren scheint es sich um die Naga zu handeln, um Elefanten, um Stiere oder um Nashörner.

Interpretation

Wie die Baum-Lotus-Motivik lässt sich auch die Tiermotivik der Semen-Musterung auf die Repräsentation des Kosmos beziehen:

  • Hirsche und Wasserbüffel bilden dabei die irdische Sphäre (die Erdoberfläche) ab, die Naga-Motive vertreten dabei das irdische Wasser als Teil der Erde (die Unterwelt).
  • Vogeldarstellungen, wie schon erwähnt, stehen für die himmlische Sphäre.

Die Ranken-Motivik als Hintergrund der Semen-Musterung

Die Keime, Sprossen und Ranken im Hintergrund einer Semen-Darstellung können in vielen unterschiedlichen Formen realisiert werden.

  • Sie sind aufgerollte beziehungsweise geschichtete Spiralen, einige mit vollständigen oder profilierten Blüten versehen, andere als mit Blättern übersäte Schlingpflanzen gestaltet.
  • Sie fassen andere Pflanzen ein, umkreisen sie und lehnen sich in spiraligen Windungen an die Form der Hauptmotive an.

Interpretation

Der Überfluss an Ranken suggeriert Vorstellungen von Überfluss, Wachstum und Fruchtbarkeit. Die Rankenmotivik hängt mit der javanischen Phrase nunggak semi zusammen, was soviel bedeutet wie immer wieder aufs Neue aus einem alten Stamm hervorsprießen oder das Neue aus dem Alten schaffen.
So verstanden drückt die Semen-Motivik deutlich das Verlangen nach Rekreation und Regeneration aus, nach zyklischer Erneuerung. Nunggak semi bedeutet aber auch: den Namen eines Vorfahren tragen.

Es besteht Grund zu der Annahme, dass der Ranken-Hintergrund der Semen-Musterung als die Windungen und Schlängelungen der Lotus-Pflanze oder gar einen Lotus-Teich darstellen sollen. In einigen Semen-Mustern hat es den Anschein, als ob die Ranken zu identifizierbaren Lotus-Pflanzen weiterentwickelt wurden.
Akzeptiert man die indische Überzeugung von dem allumfassenden Gerüst der Lotus-Pflanze und ihre Übertragung auf die Motivik der Semen-Tücher, so muss man den Ranken-Hintergrund dieser Musterung als Bestandteil der kosmischen Ordnung interpretieren.

Zusammenfassung

In ihrer Klassifizierung und Interpretation der Semen-Musterung haben G. und B. Solyom besonders auf drei Aspekte hingewiesen:

  • Die Hauptmotive bieten einen großen Rahmen für ihre Interpretation als kosmische Symbole.
  • Die Kombination dieser Hauptmotive im Rahmen einer Semen-Musterung bietet die gleichen interpretativen Möglichkeiten.
  • Der philosophische Hintergrund und die symbolische Bedeutung der Semen-Musterung stammt aus dem Umfeld hindu-buddhistischer Überzeugungssysteme.
    Es ist auch nicht verwunderlich, wenn G. und B. Solyom feststellen, dass die im hindu-javanischen Fundament wurzelnde Semen-Motivik so beharrlich tradiert wird, und letztendlich sogar in die islamische Ikonographie eingegangen ist. Dort findet man sie im Umfeld islamischer Architektur und auf Grabsteinen.

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