Eno Kiu, 3. Oktober 1991

Während ich auf Abraham warte, der in Besatoko einem Bruder Markus hilft, einen neuen Feldgarten anzulegen (oet hau kopas), ergibt sich die Gelegenheit, mit seiner Frau Timo Johana Lanu` über die engere und weitere Verwandtschaft der Sakan zu sprechen.
In den letzten Wochen hatte ich immer mehr Frauen, Männer und Kinder kennengelernt, die alle von sich behaupteten Sakan zu sein, ohne dass ich mir über den Grad der Verwandtschaft, noch über die gegenseitigen Beziehungen und Verpflichtungen klar geworden wäre. Wie diese alle zu Abraham und seiner Frau Johana standen, verstand ich erst recht nicht. Sicher war ich mir nur darüber, dass Markus in Besatoko, ein zurückhaltender Mann, gastfreundschaftlich und mit feinen Umgangsformen, Abrahams älterer Bruder war. Die Bezeichnungen für den klassifikatorischen Grad der Verwandtschaft werden nie konkret mit einer eindeutigen Bezeichnung benannt, sondern angegeben werden meistens nur Umschreibungen für die Position und die Reihenfolge, die jemand unter den Verwandten einnimmt. Meine Versuche, ins Indonesischen auszuweichen führen zu Erläuterungen wie: bapak punya adik punya saudara oder bini punya mama punya bapak punya saudara und so weiter und so fort.
Es ist Zeit, die Atoin-Meto-Termini zu verstehen und das sakansche verwandtschaftliche Netzwerk zu dekodieren. Von Johana bekomme ich heute einen ersten Einblick in den sozialen Zusammenhalt der Gemeinschaft agnat und affinal verwandter Menschen, die als Sakan ökonomisch, sozial und rituell kooperieren.

Abraham Sakans soziales Netzwerk

Abrahams Vater Nikolas Sakan; geboren in Mnela Bubun
Abrahams Mutter Naomi Nomtanis (Nomtanis = Sakans Brautgeber und Atoin Amaf, Titel des Mutterbruders)

Mnela Bubun ist einer der vielen Weiler (kuan), die zusammen das indonesische Dorf (desa) Eno Kiu bilden. Abrahams Vater ist über achtzig Jahre alt und wurde dort geboren. Er hat dort sein Gehöft, seine Familie (ume) und seinen Haushalt (ume). Heute ist Abraham sein Nachfolger und Familienoberhaupt (amaf). Zur Person von A.A. Sakan vgl. Kapitel 4 meiner biographischen Studien Die Söhne Timors: TV-Shooting im Sonaf.
Abrahams Mutter ist ebenfalls weit in den Achtzigern. Wo sie geboren ist, bin ich nicht sicher, vermute aber, dass sie aus dem Kuan Meu, im Desa Niki Niki Un stammt, aus Zentralamanuban. Seit ihrer Heirat wohnt sie uxorilokal im Haushalt ihres Ehemannes.

Johanas Vater Felipus Lanu`; geboren in Leti
Johanas Mutter Anatsi Nope

Leti ist ein Kuan im Desa Mauleum, Ostamanuban. Felipus Lanu`, der ebenfalls ein hohes Alter erreichte, lag bereits im Sterben, als ich ihn kennenlernte. Sein drei Tage andauerndes Totenritual, an dem auch Lukas Nope Banamtuan beteiligt war, habe ich in einem Essay festgehalten: vgl. Herbert W. Jardner, Die Verrotzten und Verheulten. Gedanken zum Totenritual in Amanuban.

Felipus Lanu`s Vater war Musa Lanu` aus Leti, seine Mutter eine Atiupbesi, deren Vornamen (kan meto) Johana eigenartiger Weise nicht erinnern will, immerhin ist sie dorch ihre Großmutter. Vermutlich gibt es hier ein Namentabu, dass das Aussprechen des Ahnennamen (kan meto) der Mutter verbietet. Was si ewahrlich nicht erinnert, ist der christliche Taufname der Mutter.
Johanas Mutter stammt aus Faut Kopa.

Felipus Lanu` lebte viele Jahre bei seinen Brautgebern im Kuan Noah Ana, Desa Pili in Ostamanuban, bevor er 1960 wieder nach Leti zurückkehrte.
Nach Johana Sakan ist Noah Ana das Kua Mnasi, das Alte Dorf als Ursprungsort einer Kanaf. Auch Kuan Amaf, Vater-Siedlung, genannt.

Die Herren des Bodens (kua tuaf), das heißt auch die Namengruppe der ersten Landnahme in Leti, sind die Kanaf von Lanu` und Manes.

Abraham Sakan = Ehemann (mone) Johana Lanu` Sakan = Ehefrau (fe)

Seine Ehefrau Johana stammt aus dem Kuan Leti, Desa Mauleum, in Ostamanuban. Seit ihrer Heirat lebt sie uxorilokal im Haushalt ihres Ehemannes. Entsprechend den Vorschriften der Adat (lasi hat Abraham für sie den erforderlichen Brautpreis (puah manus) im Rahmen des Heiratsrituals (lais mafet mamonet) entrichtet.
Die Namengruppe der Lanu` stellt für Abraham die Brautgeber dar. Bernardus Lanu`, der Bruder von Johanna aus Leti, ist der Atoin Amaf für Abrahams und Johannas fünf Kinder
Für die Termini der klassifikatorischen Verwandtschaft der Atoin Meto s.a. Herbert W. Jardner, Textilien der Atoin Meto. Variationen eines Stils, Teil 1, Kapitel 2.3:32; v.a. Das Verwandtschaftssystem, Kapitel 2.3.2:34.

Anatsi Nope = Schwester von Lukas Nope Lukas Nope = Johanas Baba (Verwandtschaftsterminus des MB)

Lukas Nope, der in Wirklichkeit Lukas Banamtuan heißt, aber seinen Akun-Namen, der ihn als Mitglied der ehemals herrschenden Klasse von Amanuban ausweisen soll, vorzieht, ist eine schillernde Persönlichkeit (vgl. dazu Kapitel 7 meiner biographischen Studien Die Söhne Timors: Indigenes Theater à la carte.). Die Namengruppe Banamtuan zählt zu den illegitimen Kindern der Nope, die aus diesem Grund deren Namen als verliehenen Ehrennamen (akun) tragen dürfen.
Johana Lanu` übernimmt diesen Namen für dessen Schwester und ihn selbst. Lukas Nope lebte früher in (Pili), wo auch die Brautgeber der Lanu` wohnen, und ist erst seit 1971 in Meo, Niki Niki Un, Zentralamanuban, ansässig.
Da AnatsiNope Banamtuan seine Schwester ist, darf man davon ausgehen, dass sie, wie er, ebenfalls aus Noah Ana stammt.
Aufgrund seiner affinal-verwandtschaftlichen Position und seines Alters repräsentiert Lukas für Abraham Sakan dessen Brautgeber. Als Vertreter der Brautgeber ist er daher gleichzeitig sein Atoin Amaf (lit. vatergleicher Mann). Als Babaf, als Mutterbruder, kommt ihm diese für die Lwebgenszyklusritzuale wichtige Funktion ohnehin zu. Darüber hinaus sind alle männlichen Mitglieder der Brautgeberlineage mit Babaf anzuspechen.
Ehrfürchtig wird Lukas von den Sakans auch Usi Mnasi (lit. Ehrwürdiger Fürst; mnasi, alt im Sinne von weise, erfahren) der genannt.

Lukas Nope Banamtuan, so Johana, ist in Noah Ana Brautgeber für: Sakan, Babis, Heli, Lanu` und Nauat.

Lukas Vater Paulus Nope
Lukas Mutter Tamar Nuban

Verheiratet ist Lukas, wie schon sein Vater, mit einer Tochter der Nuban; eine ebenfalls historisch bedeutende, bis heute respektable Namengruppe. Für die Banamtuan in Noah Ana, die späteren Nope in Meo, stellen die Nuban die prominentesten Brautgeber dar. Wahrscheinlich ist eine Heirat zwischen Banamtuan und Nuban die von der Adat idealerweise bevorzugte Heirat, da sie zwei Namengruppen über Generationen in einer Allianzbeziehung verbindet (s.a. Herbert W. Jardner, Ritualtextilien und der Lebenszyklus der Atoin Meto , Kapitel 2, Heiratsritual, S.6).

Simon Petrus Banamtuan, der sich gerne Nope nennt, ist ein Neffe von Lukas, der Sohn seines älteren Bruders (tata). Simon Petrus Vater heißt Gabriel Banamtuan, den Namen seiner bereits verstorbenen Mutter kennt Johana nicht.
Seine Ehefrau ist Tersie Lanu`, sodass, wie für Abraham Sakan, auch für S.P. Banamtuan die Lanu` Brautgeber sind. Zur Person von S.P Banatuan vgl. Kapitel 5 meiner biographischen Studien Die Söhne Timors: Ein Yogin im Hinterwald.

Sakans Jüngerer-Bruder-Lineage

Markus Sakan, den ich an anderer Stelle ungenau als den jüngeren Bruder von Abraham bezeichnet habe, gehört in Wirklichkeit einer anderen Lineage der Namengurppe Sakan an: Markus ist nicht Abrahams leiblicher, jüngerer Bruder (olif), er ist sein genealogisch jüngerer Bruder (olif. Die Verwendung gleicher Termini für unterschiedliche verwandtschaftliche Positionen, verschleiert im alltäglichen Sprachgebrauch oft den wirklichen Charakter einer agnaten Beziehung.
Markus Sakan repräsentiert die Jüngerer-BruderLineage der Sakan. Er stammt von Lasa Sakan ab, dem jüngeren Bruder(olif) von Fanu Sakan. Beide sind Söhne des apical ancestors Kolo Sakan, von dem es heißt, er sei einst aus Tunbesi nach Boi Balen, Niki Niki, gekommen. Abraham ist Nachkomme von Fanu Sakan und Mitglied der Älterer-Bruder-Lineage (tataf.

Markus Sakan ist 1967 aus Noah ana nach Eno Kiu gekommen, behauptet Johana Sakan. Unabhängig befragt, mag Markus diese Angabe nicht bestätigen, sondern besteht darauf, dass seine Familie seit Generationen, seit seinem Urgroßvater in Eno Kiu wohnt.

Die Atoin Amaf der Sakan-Ahnen

Am 13. Oktober 1991 zählen Niklas und Abraham Sakan die Atoin Amaf seiner Ahnen auf. Leider ist meine Liste fragmentarisch geblieben, da weder Abraham noch sein Vater, Niklas Sakan, alle erinnert (die Namen in Klammern enthalten die Korrekturen von Abraham Sakan).
Für sich allein betrachtet, ist diese Liste nicht besonders aussagekräftig, da sie das umgangreiche Netzwerk, an dem die beiden Sakan durch die vorausgegangenen Generationen partizipieren, allenfalls andeutet. Es ist allerdings auch hier sinnvoll, Namen und Beziehungen zu dokumentieren, die nicht mehr lange erhoben werden können. Eine Analyse, sowie die Einordung der verschiedenen Namengruppen und der sozialen Beziehungen, die sie unterhalten (haben), erfordert weitere Forschung:

  • Kolo Sakan = Likaf Leo (Kok Leo);
  • Lasa Sakan = ? Nenobota;
  • Fanu Sakan = Bil oder Fenu Kause (? Leo);
  • Kolo Sakan = Seo Uas (Kela Uas);
  • Lafu Sakan = Taes Kause (Bene Kause);
  • Taes Sakan = Bin Beti` (A. Sakan hält das für falsch, kann aber keinen anderen Namen angeben).

Über den Atoin Amaf der Kinder seines Vaters (Taes Sakan) sagt Nikolas Sakan das folgendes:
Es Na Beti` mas kan tekaf kanan. Le hit es seon kit la`ai kan mu`if atoin amaf ala uis neno. (Was Bin Beti` betrifft, bin ich mir über den Namen nicht sicher. Wir haben heute keinen Atoin Amaf mehr, nur noch Gott (Uis Neno). Eine mehr als eigenartige Randbemerkung. Leider habe ich vergessen, ob er den autochtonen Uis Neno meint oder den Adaption des Namens für die christliche Gott-Vater.

  • Seo Sakan = Uki Benu (Bale Benu;)
  • Suli Sakan = Mese Kause (Bene Kause / Antonetta Nomtanis);
  • Koli Sakan = Tef Benu (A. Sakan hält das für falsch, kann aber keinen anderen Namen angeben).

Timo Johana Lanu` kennt sich in ihrer umfangreichen Verwandtschaft sehr gut aus. Personen, an die sie nicht spontan erinnert, gehören früheren Genertionen an und sind mit ihr nur entfernt verwandt. Für weitere Recherchen empfiehlt sie mich ihrem Bruder Bernardus Lanu` in Leti.
Immer wieder führen ihre Angaben in den Kuan Noah Ana in Pili, den letzten Wohnort von Lukas Nope Banamtuan.
Auf irgendeine Weise scheint er die zentrale Stellung im sozialen Netzwerk und in den Ost-West-Migrationen von Abraham Sakan und den Seinen einzunehmen.

Anmerkung

Feldforschungstagebuch Amanuban: 03. Oktober 1991

Datum 03.10.1991 / 12:30 – 13:30 Uhr
Ort Mnela Bubun, Kuan Eno Kiu; Kelurahan Niki Niki; Zentralamanuban
Teilnehmer Johana Lanu`, ehefrau von A. Sakan; HWJ
Daten Befragung zur Sakan-Genealogie

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