Die Kauna-Motive

Die zoologische Kategorie kauna

Kauna ist die allgemeine Bezeichnung für besondere zoologische Tiere, die die westliche Biologie den unterschiedlichsten Arten und Gattungen zuordnet. Die Atoin Meto fassen diese Tiere aufgrund bestimmter Gemeinsamkeiten in einer einzigen Kategorie zusammen.
Diese Gemeinsamkeiten orientieren sich im wesentlichen an der Gestalt dieser Tiere sowie an ihrer relativen Nützlichkeit und Gefährlichkeit für den Menschen.
Die Atoin Meto klassifizieren Reptilien, Amphibien und Insekten in diese Gattung, die sie Kauna nennen.

Eine Kauna, gleichgültig ob sie im Wasser oder auf dem Land lebt oder amphibisch zwischen beiden Biotope wechseln kann, löst bei den Atoin Meto ambivalente Gefühle aus. Diese Gefühle oszilieren zwischen Anziehung, Furcht und Abscheu. Dabei handelt sich um die unterschiedlichsten Tiere, die sich allerdings dadurch auszeichnen, dass die meisten von ihnen für den Menschen auf die eine oder die andere Weise gefährlich werden können. Viele von ihnen sind so klein, dass sie nur schwer zu sehen sind, viele aber giftig, verschlagen und hinterhältig. Andere sind dem Menschen an körperlicher Stärke weit überlegen, und stellen eine tödlichere Gefahr für ihn dar.
Eine Kauna lebt nahe an der Erdoberfläche, liegt mit dem Bauch auf dem Boden, hat sehr kurze oder überhaupt keine Beine und ist, in den meisten Fällen nackt, ohne Fell oder Körperbehaarung.
In jedem Fall sind Kauna mehrheitlich böse. Im Alltag fügen sie dem Menschen mehr Schaden als Nutzen zu, woraus sich die Notwendigkeit ergibt, sich gegen diese Tiere abzugrenzen und zu schützen.
Entsprechend ihrer Größe, des Biotops in dem sie leben, ihrer Gefährlichkeit und ihrem Nutzen für den Menschen, ordnen die Atoin Meto die Kategorie Kauna in verschiedene Untergruppen ein. Die wichtigsten Attribute oder Qualitäten, nach denen sie diese Spezies klassifizieren, bilden die Paare groß / klein // Land / Wasser // gefährlich / ungefährlich // genießbar / ungenießbar. Undifferenzierter verwenden sie für die Gliederung das Paar Kaun alekot / Kaun amle`ut, also angenehme, gute Kauna / schädliche, böse Kauna.

Große Land-Kauna (kaun meto oder kaun naek

Zu den Kaun amle`ut dieser Kaegorie, die ungenießbar und gefährlich sind, gehören:

  • Die Umeke, eine knapp unterarmdicke, schwarze, rote oder gelbe Schlange, die in den Gärten der Atoin Meto häufig anzutreffen ist. Niemand zweifelt an der Bösartigkeit und Ungenießbarkeit dieser Schlange. Die Angaben über ihre Gefährlichkeit schwanken in ihrer Bandbreite allerdngs von giftig bis ungiftig.
  • Der Felspython (Liuksae oder Kaun Le`uf) ist die größte Schlange Westtimors, die einst einen wichtigen Platz in den religiösen Vorstellungen und Mythen einnahm. Neben dem Leistenkrokodil (besimnasi) ist sie das bedeutendste Tier der mit totemistischen Überzeugungen verbundenen Herkunftsmythen der Namengruppen (kanaf).
    Die beiden Morpheme im Namen dieser Schlange haben analogische Bedeutung. In liuk schwingt assozialtiv le`u – numinos – mit; sae bezieht sich darauf, dass der Körper der Python sich in alle Richtungen gleichermaßen geschickt fortzubewegen kann. Oberschenkeldick und bis zu zwei Metern lang, wird diese Schlange als Schweine- und Ziegendieb gefürchtet. In ausgewachsenem Zustand verschlingt problemlos eine ganze Ziege oder ein Schwein.
    Dem Python sagt man Bösartigkeit nach und erzählt sich über ihn, dass er, wenn er hungrig ist, auch Menschen angreift und ihn verfolgt. Holt sie ihn ein, dann schlägt sie mit ihrem beweglichen Schwanz nach ihm und bringt ihn so zu Fall.
    Gleichzeitig hält man den Python für eine Wohltäterin des Menschen, da sie ein Repräsenttant von Uis Pah, der göttlichen Erde ist, ohne deren Mitwirken keine Gärten gäbe. Als Uis Meto ist er der Herr(-in) des trockenen Landes.
    Erschlägt der Mensch einen Python, verpflichtet ihn die Adat, sie in eins der großen Hüfttücher (mau) gewickelt zu begraben. Wer dies versäumt, den quälen Albträume solange, bis er schließlich daran stirbt.
    Auch der Mnane, der ehemlige Schamane der Atoin Meto, unterhält intime Beziehungen zu dieser in den Höhlen der kalkigen Fatu lebenden Schlange. Er fütterte sie und bat sie um visionäre Träume, die ihm bei der Krankenheilung halfen. Man erzählt sich, dass in Höhlen des Fatu Le`u auch heute noch Python leben sollen. In der Vergangenheit spielten sie bei der Aktivierung der Le`u musu, der Kriegsmagie, eine entschiedende Rolle. Der Fatu Le`selbst soll einst bei Ausbruch von Streitigkeiten das rituelle Zentrum für die Aktivierung der Le`u musu gewesen sein, die von diesem Berg ihre Potenz bezog.
    Die braunen Muster der Pythonhaut werden im Volksmund als Blüten (sufan) bezeichnet und in finden sich auf den Textilien als Motive wieder.
    Aus der Haut des Python fertige man einst Taschen und Sandalen, die sich durch Elastizität und Härte auszeichneten.

Kleine Land-Kauna (kaun meto oder kaun ana)

Als ungenießbar und gefährlich (Kaun amle`ut) sieht man in Amanuban die folgenden Spezies an:

  • Die Masafoho, eine ebenfalls als gefährlich und bösartig bezeichnete, kleine gifitge Schlange.
  • Der Kbit meto ist ein Skorpion (kbiti), dessen Gift (kaun oen) für den erwachsenen Menschen zwar nicht tödlich, dessen Stich (ansaf , Stich; kbiti in ansaf kau, der Skorpion hat mich gebissen) aber trotzdem schmerzhaft, unangenehm und unter Umständen nicht folgenlos ist.
    Der Biss einen Skorpions wird als Strafe für einen Adatverstoss angesehen. Besonders die Vernachlässigung der Verpflichtung gegenüber den patrilinearen Ahnen (hau bian, fat bian) zieht einen Skorpionbiss nach sich. In dieser Überzeugung äußert sich die Vorstellung, dass der Skorpion der verlängerte Arm der Ahnen ist. Die von der anderen Seite des Baums (hau bian) von der anderen Seite des Steins (fatu bian) bezieht sich auch auf den ni uf, den Hauptpfeiler eines Hauses, an dessen Rückseite ein stein plaziert wurde, auf dem Gaben für die Ahnen deponiert wurden.
    Während das Männchen (kbit naes; naes, böse, schlecht), erkennbar an seinem langgestreckten Körper, nur mäßig giftig ist, ist das kleinere, weibliche Tier (kbit ainaf) mit rundem Körper weitaus giftiger. Ihr Nachwuchs (kbit ana oder kbit teko ist dagegen kaum giftig und der Stich eines kleinen Skorpions problemlos.
    Skorpione, die auf dem Land leben, lieben die Wärme und die Trockenheit, kommen jedoch in die Häuser, wenn ihnen Kälte und Feuchtigkeit zu sehr zusetzen. Gelingt es ihnen, sich in unübersichtliche Ecken und Winkel zurückzuziehen, können sie dem Menschen gefährlich werden, ansonsten sind, die trägen Tiere, die sich ganz auf ihren blitzschnellen, mit einem dünnen Stachel bewehrten Schwanz verlassen, leicht zu erschlagen.
    Die Volksmedizin der Atoin Meto kennt gegen den Skorpionstich drei unterschiedliche, therapeutische Verfahren, deren Kenntnis Allgemeingut darstellt. Die wichtigste Verhaltensweise besteht darin, sich ruhig verhalten, damit das Gift durch körperliche Anstrengung nicht allzu schnell von Organismus aufgenommen werden kann. Das Auflegen und Verreiben schwarzer Erde (nai metan) auf der Einstichstelle soll das Gift aus dem Körper ziehen. Die Atoin Meto kennen ebenfalls einen speziellen Stein (faut le`e, Feuerstein) der, auf der Stichstelle gerieben, die gleiche Wirkung besitzt. Während die schwarze Erde kreisend über der Einstichstelle verrieben wird, soll man die folgende Formel aufsagen: „Du lebst auf der Erde, im Stein (in den Zwischenräumen der baik genannten Steinumzäunungen) und im Geheimen in Löchern, kehre zu deinem Platz zurück, und sterbe“ (Ho monit mbi nijan fatu ma mukolo mbin holof mate fain neu ho bale).
    Einen ähnlichen Spruch wiederholt man beständig, während man den fein zerstossenen Feuerstein über der Einstichstelle verreibt: „Du lebst in einem anderen Stein, in Löchern, sterbe und falle auf die Erde (Ho monit mbi faut bian holof amate mofu mbi nijane nan).
    Sind weder Erde noch Stein vorhanden, so wird mit dem Parang (benas) oder einem Messer (besi) der Einstich oberhalb eingeschnitten (keot nabata kaun oe), damit das Gift (kaun oe oder oe amafut) ausbluten kann.

Usaotiu oder usao

Die Usao ist eine kleine, sehr dünne grüne Schlange, das giftigste Reptil, das die Atoin Meto kennen, und die ebenfalls in den Gärten vorkommt. Deren Biss wird wegen der starken Schwellung der Bissstelle und der Schmerzen sehr gefürchtet. Der Biss dieser Schlange ist allerdings nicht tödlich, aber man glaubt, dass die Anwesenheit dieser kleinen grünen Schlange im Haus, den Tod eines der Bewohner ankündigt.
Es heißt auch, dass diese Schlange, wie der kbit meto, immer paarweise auftritt.

Mbi i mau human on le uis le`u

Mit uis le`u oder fut kauna wird in Amanuban eine bestimmte Motivklasse bezeichnet, ohne dass ein Unterschied zwischen den verschiedenen Verzierungstechniken ersichtlich ist. In diese Motivklase gehören konkrete und stilisierte Darstellungen von Reptilien, besonders das Krokodil, der Skorpion und eine Schlange, bei der es sich sehr wahrscheinlich um den heute selten gewordenen Felspython handelt. Nach indigener Überzeugung lösen diese Spezies Gefühle und Ängste wie giftig, verehrungswürdig, schuldig sowie äußerst böse aus.

Kleine Wasser-Kauna (kaun oel oder kaun ana)

Zu der Spezies der kleinen Wasser-Kauna gehören nach indigener Auffassung die folgenden Tiere. Sie gelten als kaun amle`ut als ungenießbar und gefährlich.

Der kbit oel ist ein in den Seen (nifu) Westtimors lebender Waserskorpion, dessen Gefährlichkeit seinen an Land lebenden Verwandten unterlegen ist, da er lediglich mit seinen Zangen wie ein Krebs kneifen kann. Ihm wird allerdings eine Schnelligkeit und Wendigkeit attestiert, bei der ein kbit meto nicht mithalten kann. Anders als der kbit meto ist der im Wasser lebende Skorpion braun und auch etwas größer.
In seiner Studie De Timoreezen erwähnt A. Kruyt (1923) einen Uis ika oekabiti. Er übersetzt diesen Namen mit Heer Skorpionvisch ins Niederländische. Er hält außerdem fest, dass Uis / Usif der höchste Tite sei, den ein politischer Funktionär der Atoin Meto beanspruchen könne. Der Titel Usif, den P. Middelkoop mit dem jawanschen gusti vergleicht, steht den Fürsten (ehemals Nai) zu, die das politische Zentrum schützend umgeben. Ein Uis ist also eine hohe, staatstragende Persönlichkeit. Ika heißt der Fisch, ein aus dem malaiischen entlehnter Begriff (ikan), da die Atoin Meto als Inlandbevölkerung einst keine Beziehung zum Meer und zum Fischfang hatten. Oekabiti, so Kruyt, sei der einheimische Name des Wasserskorpions.
Korrigiert man Kruyts Übertragung ein wenig, so lautet die Übersetzung Fürst Fisch-Wasserskorpion, eine Bezeichnung, die eher an die Fabelwesen und Monster der europäischen Mythologie erinnert, die von Kentauren, Sphinxen und ähnlichem spricht, als an eine reale zoologische Spezies.
Kryut konnte nun auch in Erfahrung bringen, dass dieser Ika Oekabiti eine Parallelbezeichnung für das Krokodil sei. Fragt man heute die Atoin Meto nach den Eigenschaften eines kbiti, so charakterisieren sie ihn als gewaltig, furchtbar und entsetzlich. Nachgefragt meinen sie mit gewaltig: Führer, böse, klug, verschlagen und intelligent, Merkmale, für die die Ethnologie den Begriff des Tricksters verwendet.
Ob der kbiti in Westtimor einst als Trickster galt, als jemand, der auf der Grenze zwischen Gut und Böse wandelt, sei dahingestellt. Jedenfalls findet man heute in Amanuban niemanden, der dies besätigen möchte. Dass aber viele der Kauna-Spezies Trickster-Merkmale zeigen, dies trifft jedenfalls zu.
Fragt man aber nach der indigenen Exegese des Begriffs Uis / Usif, so bekommt man die folgende Auskunft: Wer in der Vergangenheit berechtigt war, den Titel Usif zu tragen, war ein mächtiger Mann, einer, vor dem der einfache Mann Respekt und Ehrfurcht (namtau) empfand. Diese Furcht nährte sich aus der Macht, die dieser Mächtige über Leben und Wohlergehen sowie über den Tod besaß. Diese Macht, gemeint ist ein besonderes Charisma, ist neutral, kontextuell zum Nutzen oder Schaden der Gemeinschadt anwendbar.
Gemeinsam scheint den beiden Begriffen, Uis und Oekabiti, die als le`u empfundene Sphäre des Numinosen, die diesem Begriff und allem, was durch ihn charakterisiert wird, anhaftet. Der mit le`u angereicherte Sphäre sowie den Persönlichkeiten, die an dieser partizipieren, näherte man sich einst mit Respekt, Ehrfurcht und Achtung, mit namtau. Namtau nur als Furcht und Grauen aufzufassen, wird dessen Bedeutung niocht gerecht: Auch hier ist ein Charisma angesprichen, dessen Wahrnehmung zwischen Furcht und Ehrfurcht oszilliert.
Der Uis Oe kbiti erscheint heute nur noch in der textilien Ikonographie der Atoin Meto. Er ist als Wasserskorpion wahrscheinlich das früher als Totem verehrte Krokodil, dem einzelne Namengruppen aufgrund von verwandtschaftlichen Beziehungen Menschen opferten.

Weitere Kauna – ungenießbar und ungefährlich

In diese zoomorphe Klasse ordnen die Atoin Meto den Frosch (beso), die Spinnen (nab-naba oder naf-nafa), besonders die atapane, eine Spinne mit einem auffallend großen Bauch.

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