Blatt Dreiundzwanzig: So`e

16. Februar 1991

Heute Nachmittag hat sich eine junge Frau vorgestellt. Sie will bei uns als Pembantu arbeiten. Sich täglich einige Stunden mit Kassandra
beschäftigen, damit wir intensiver an unserem Projekt arbeiten können.
Sie wird ab nächsten Montag jeden Tag von siang bis sore zu uns kommen.
Eine sympathische Frau, unter Zwanzig. Sie hat gerade die SMA ohne Abschluss beendet. Sei ungebunden, wie sie sagt. Sie habe jede Menge Zeit .
Lust zu dieser Arbeit.
Wir schlagen Rp 30.000 für den Monat vor. Sie scheint erfreut. Auch die alte Billik, die mit dabei ist.
Sie macht uns mit der jungen Frau, die sehr norddeutsch Anke heißt, bekannt.
Später schmipft uns ihrer Schwiegertochter, Ibu Dian, aus, als sie hört, wie viel wir ihr zahlen.
Rp 20.000 seien schon zu viel, schimpft sie.
Was sie besonder ärgert ist, dass unsere Pembantu nur den halben Tag arbeiten soll. Dies sei völlig unmöglich.

Später am Nachmittag erfahren wir, das durch die Bemühungen der Billiks eine Frau sich bereit erklärt hat, für uns ein Webgerät zu besorgen.
Morgen will sie bei vorbeikommen.

17. Februar 1991

Es ist Sonntag. Wir schaffen es endlich, uns in der Kirche sehen zu lassen.
Das wird von uns erwartet. Wir müssen Religion haben, sonst verlieren wir soziale Anerkennung.
Wir entscheiden uns für die 7.00 Uhr Messe. Damit uns der ganze Tag bleibt.
Die Einladung von Pater Laurentius kam immer dringender. In Indonesien ist man religiös oder Atheist, das heißt Kommunist.
Dieser Zusammenhang zwingt uns den Kirchgang auf.
Außerdem hat es sich inzwischen herumgesprochen, dass wir nur Christen, und keine Moslem sein können.

Als wir eintreffen, ist die kleine Kirche voll besetzt, die Messe hat bereits begonnen. Von einigen Ausnahmen abgesehen, sitzen alle Männer auf der
rechten Seite, die Frauen sitzen links. Den Altar habe beide Gruppen so vor Augen.
Auf der rechten Seite gibt es keine freien Plätze mehr. So setzen wir uns in die vorletzte Reihe auf der linken Seite. Nach und nach füllt sich die Kirche, bis alle Sitzplätze belegt sind.
Die Messe dauert, über anderthalb Stunden. sehr ausgedehnt, finden wir.
Natürlich langweilt Kassandra sich. Auch der vorsorglich mitgebrachte Kakao hilft da nicht. Wieder kritisiert sie den Unterschied zwischen der balischen Pura und er katholischen Kirche.
Kirche und Pura sind für sie zwei sehr verschiedene Orte geworden. Ihre Vorliebe gehört Pura. Sie hat kein Interesse an dieser religiösen Zeremonie und äußert das auch provokant.
Außer der sehr regen Beteiligung der Gläubigen an Liturgie und Kommunion, kaum Auffälliges.
Viele der Anwesenden in der Sonntagsmesse brachten den Kopf des Mais als Opfer am Altar dar. Traditionell stand diese frühe Ernteabgabe (poni
pa
h) dem politisch-rituellen Zentrum zu und wurde diesem durch die Amaf übergeben.

Spät am Vormittag besucht uns Pater Laurentius. Erst jetzt kann er sich offiziell bei uns sehen lassen.
Er lädt uns für heute Abend aus. Kein gemeinsames Abendessen. Er habe noch einen wichtigen Termin und wisse nicht, wann er zurück sei.
Er will uns nicht warten lassen, und sagt das Treffen für einen anderen Tag der kommenden Woche zu.
Das versprochene Material von Pater Leko will er morgen vorbeibringen.

18. Februar 1991

Wir warten bis nach 14.00 Uhr auf die eingestellte Pmbantu. Die Zusage am Samstag war eindeuti. Heute kommt niemand. Niemand informiert uns. Wir
sagen uns, das ist Indonesien, das ist das normal, sie kommt morgen komme. Oder vielleicht Anfang März.
Wer weiß?
Früh am Nachmittag kommt Oma Billik mit Ibu Naomi Ton und einem Gurtwebgerät. Die Billiks hatten sich mittlerweile Gedanken darüber gemacht.
Das Ergebnis: Heidrun braucht nicht nur ein Webgerät, sie braucht auch eine Lehrerin, die sie in technischen Angelegenheiten beraten kann.
Voila! Naomi Ladda Ton tritt in unser Leben.
Eine gute Entscheidung. Und weitsichtig.
Wir vereinbaren täglich einen zweistündigen Unterricht.
Rp 30.000 für den ersten Monat. Für täglichen Unterricht und Leihgebühr für das Webgerät.
Wir beginnen mit der Kettentechnik. In Amanuban Lotis genannt.
Futus, das ist Ikat, sei für Anfänger viel zu kompliziert, argumentiert Naomi. Erst recht Buna`, die broschierten Mustereinträge.
Amanuban Besitzt eine vielfältige Textilmusterung.

Der eehr Maceinus, wie ihn Kassandra nennt, komt abends noch kurz vorbei und bittet um Vorschuss.
Er will endlich das Dach für sein Haus kaufen. Der tägliche Regen schade dem Neubau. Da ihn sein Arbeitgeber im Stich lässt, helfe ich ihm aus.

.

19. Februar 1991

Ibu Naomi kommt nicht wie vereinbart um 10.00 Uhr, sondern erst gegen 14.00 Uhr. Sie habe keine Uhr entschuldigt sie sich.
Wie schon so oft, verbringen wir den Vormittag mit Warten.
Wir versuchen uns auf diese Unzuverlässigkeiten einzustellen, emotional fällt uns das schwer.
Das Warten lähmt mich. Nie weiß ich, ob es sich lohnt, etwas anderes anzufangen.
Gestern haben wir nur wenig Wolle zu Knäueln aufgerollt. Nun vergeht der Nachmittag mit dem Abhaspeln der Wolle von Hand.
Zum ersten Mal unseren wir Gästen Sirih-Pinang angeboten.
Sie lehnen ab. Sie hätten gerade erst bei Billiks welchen gehabt. Einleuchtend. Mut angegessen
Oma Billik, die den ganzen Nachmittag hilft, langt dann vor dem Nachhausgehen doch noch kräftig zu.
Am Abend bringt sie uns eine einfache, aber ausgeklügelte Haspel aus Bambus vorbei, die das Abhaspeln der Wolle sehr erleichtert.
Ganz nebenbei bemerkt sie, dass die Pembantu nicht kommen wird. Obwohl sie selbst es will, verbietet es ihr Vater.
Er befürchte, dass sein eigener Haushalt darunter leide. Seine Frau sei zur Zeit auf Rote. Keine offizielle Absage, keine Erklärung.
Eine peinliche Situation für die Billiks.
Für uns weiteres Haushaltschaos, weitere Überarbeitung. Keine Veränderung für Kassandra in Sicht.

Mittags gehe ich mit Marcelinus zur Post um die versprochenen Rp 100.000 vom Tabungan pos abzuheben. Im Mahkota Plaza beende ich den Brief an Mechthild. Eine der Kellnerinnen löcherte mich mit dem Abfragen einer Wörterliste, die sie in einer selbstgemachten Lautschrift aufschrieb. Wozu dies gut sei, meine Frage.
Ingin tahu, ihre lakonische Antwort. Nach über einer Stunde mache ich mich davon. Der doch sehr improvisierte Sprachunterricht macht keinen Sinn.
Ich sende ein Bündel Briefe nach Deutschland ab. Ob Antworten kommen.
Wahrscheinlich nur Guido, Mechthild und irgendwann vielleicht meine Mutter. Ein einseitiges Briefeschreiben, von dem ich ständig denke, es
aufzugeben.
Hätte ich nur nicht so viel zu erzählen.

20. Februar 1991

Ich morgen fuhr ich mit Kassandra ins Rumah sakit. Poliklinik im Kampung Rote. Vor einigen Tagen ist mir eine Brücke herausgefallen. Die will ich mir wieder einsetzen lassen.
Ein kleineres Gebäude, eine Ambulanz mit Kamar dokter, Praktek umum, Poliklinik mata und Poliklinik gigi. Und ein überfüllter Wartesaal.
Ich habe nicht die Absicht mich heute behandeln zu lassen, da ich Kassandra die Wartezeit nicht zumuten will.
Ich will nur fragen, was geht.
Zuerst verneint man, will mich ins Rumah sakit polisi nach Kupang schicken. Ich lasse nicht locker und man schickt mich dann doch in den Raum mit der Aufschrift: Poliklinik gigi. Ich frage nach, muss lange warten. Halte mit Mühe Kassandra bei Laune und bekomme statt der Auskunft meine Behandlung. Nach einer halben Stunde ist die Brücke wieder am gewohnten Ort. Rp 5.000.

In Oebesa sind Heidrun und Ibu Naomi schon dabei, die Kettfäden zu schären. Sie arbeiten im Haus, nicht auf der Veranda, da die Ibu einen Auflauf Schaulustiger befürchtet. Wir überzeugen sie dann doch, dass draußen müssen. Der Arbeitsprozess kann im Haus nicht fotografiert werden.
In kürzester Zeit haben wir unseren Auflauf, der sich im Rahmen hält,auch den einen oder anderen netten Schwatz bringt.
Abfragen der Terminologie, Dokumentation des Arbeitprozesses.

Nachmittags der Versuch, Heidruns Eltern anzurufen, die noch immer nicht auf das Telegramm reagiert haben. Unsere finanzielle Situation spitzt sich wieder zu.
Noch Rp 300.000.
Vergeblich!

Bis spät in die Nacht arbeiten Heidrun und ich daran, Schärgerät und Schärprozess zu beschreiben. Die wesentlichen Aspekte und Details schriftlich festzuhalten.
Vor ein paar Tagen wussten wir noch nicht, wann unsere Arbeit beginnt.
Heute befinden wir uns mittendrin.
Wir haben damit begonnen, die in Oebesa, Amanuban Barat, übliche Webtechnologie für Lotis-Gewebe nachzuvollziehen und zu dokumentieren.
Wir hoffen, die Technik ist in ganz T.T.S. die gleiche.
Wir hoffen nur die Namen sind verschieden.

21. Februar 1991

Ibu Naomi kommt gegen 10.00 Uhr und ich setze die Befragung zu Terminologie und Webtechnik fort. Frage die unklar gebliebenen Details nach.
Heidrun schärt die Kette. Naomi sitzt dabei und schaut zu. Wir schicken sie nach Hause. Es macht keinen Sinn, dass sie Heidrun beim Schären der Kettfäden zu schaut, während ihr drei Monate altes Kind sie zu Hause entbehren muss.
Heidrun hat das Prinzip des Schärens verstanden. Naomi ist entbehrlich.
Das langwierige Schären ist Heidruns Arbeit.

Ich arbeite an meinem Wörterbuch, das gute Fortschritte macht. Beachtlich an Umfang gewinnt.
Die Unterscheidung zwischen Molo- und Amanubandialekt gestaltet sich schwierig. Meine Middelkoop-Texte fehlen mir zum Vergleich.
Ich hoffe, die Pakete aus Deutschland treffen bald ein.

Nachmittags der zweite Versuch, Heidruns Eltern telefonisch zu erreichen. Wieder vergeblich. Sind sie nicht zu Hause?
Wir sind ratlos.

Marcelinus versetzt mich den den zweiten Tag. Ich denke daran, mir einen anderen Lehrer zu suchen.
Marselinus ist zu inzwischen zu Mollo-lastig geworden.
Ich beginne die Dialekte zu verwechseln.
Die Verwandtschaft zwischen beiden Dialekten ist groß. Aber Marcelinus bagatellisiert die Unterschiede.
Aber wo finde ich einen neuen Lehrer finden kann.

Ich habe heute das erste Mal Betel gegessen. Puah manus nennt man ihn hier. Ich halte mich genau an die Angaben und die Beschreibung von Marselinzus. Halte die Reihenfolge genau ein, die ich auf der Straße und im Bemo beobachtet habe.
Ich habe keine Ahnung hatte, welche Wirkung ich erwarten kann. Was der Konsum von Betel auslöst.
Man hat mich oft gewarnt, nicht zu viel auf einmal zu nehmen.
Am Anfang höchstens eine halbe frische Arekanuss (puah mata)
Ich schneide die harte, grüne Schale auf, halbiere die gelleeartige Frucht und steckte sie mir in den Mund. Zerkaue sie gekonnt.
Ein unangenehm bitterer Geschmack breitet sich in meinem Mund aus. Stark adstringierend. Zunge, Zahnfleisch und Zähne fühlen sich sofort stumpf an. Der weiche Puah ist schnell zerkaut.
Ich nehme ein halbfingerlanges Stück der Frucht (maun fua) des Betelpfeffers (manus), der wie eine grüne Raupe aussieht.
Die Schärfe des Manus mischt sich angenehm mit der Bitternis des Puah. Die Schärfe ist so scharf wie die der Chilifrucht. Am ehesten einer Prise Pfeffer zu vergleichen.
Zuletzt gebe ich eine Messerspitze gelöschten Kalk (ao) zu der Mischung in meinem Mund, der das Alkaloid aus dem Puah löst, dass die stimulierende Wirkng verursacht. Gleichzeitig verschwinden bitter und scharf aus meinem Mund.
Noch während ich die einzelnen Zutaten nach einander in den Mund nehme, setzt ein starker Speichelfluss. Solange ich auf der Mischung kaue, fließt auch der Speichel kräftig, dass es mir nicht gelingt, die einzelnen Zutaten zu einem Brei zu formen. Der Speichel löst alles in einen krümelige Melange auf.
Ich spucke aus, versuche Speichel loszuwerden und verliere dabei den größten Teil der Betel-Mischung.
Die Rötung des Speichels setzt langsam, aber kontinuierlich ein. Zuerst ist ausgespuckte Speichel farblos, wird aber jedes Mal roter.
Kräftig hellrot-braun. Zuletzt blutrot.
Wann die Wirkung einsetzte, kann ich nicht mehr sagen. Ich war zu sehr mit dem Kauen und Ausspucken beschäftigt. Konzentrierte mich darauf, wenigstens einen Teil des Puah manus im Mund zu behalten.
Ich saß ruhig da und schaute Heidrun zu, die frisch geröstete Erdnüsse schälte.
Ich spürte meinen ganzen Körper intensiver, verbunden mit einer gesteigerten akustischen Wahrnehmung. Geräusche, wie ein vorbeifahrendes Autos, das Knistern der Nussschalen, das Summen der Neonröhre sowie die gegen das Fenster fliegenden Käfer hoben sich mit spitzer Deutlichkeit gegen die dumpfe Stille des Raumes ab. In meinem Magen breitete sich ein Gefühl wie von starkem Kaffee aus. Im Kopf ein leichter, nicht unangenehmer Schwindel.
Meine Körpergrenze geriet in einem geschärften Kontrast zur Umgebung.
Ein Gefühl von Intensität, Leichtigkeit und Helligkeit. Ich fühlte mich aus von der Umgebung abgehoben.
Nach dem bitter-scharfen Geschmack bleibt eine leicht gerötete, sich adstringiert anfühlende Zunge zurück. Ein angenehmer, an frisches Grün erinnernder Geschmack.
Auf der Brille hinterlässt mein erster Versuch rote Spritzer.

24. Februar 1991

Wieder retrospektive ins Tagebuch.
Momentan nimmt mich die Arbeit am Wörterbuch und an der Dokumentation der Webtechnologie sehr in Anspruch.
Ich bin wieder erkältet.
Es ist Winter in Amanuban. Alle sind erkältet. Besonders die Kinder, denen der Rotz aus der Nase hängt.
Es ist einfach geworden, sich anzustecken.

Freitag, 22. und Samstag, 23. Februar. Wir arbeiten intensiv an der Dokumentation der Webtechnik. Heidrun sitzt täglich stundenlang an der Kette, die zu Ende geschärt werden muss. Ich habe mit Haushalt und Kassandra alle Hände voll zu tun. Bis in die Nacht hinein sitzen wir an der
Aufzeichnung der Ergebnisse der Webtechnologie.
Texte, Zeichnungen und Fotografien.
In der Zeit dazwischen arbeite ich am Wörterbuch, an der Sprache. Meine Sprechfähigkeit nimmt nur langsam zu.
Wir verbringen die Tage auf der Terasse vor unesrem Haus mit der Datenaufnahme.
Uab Neto spreche ich nur mit Marselinus. Wenn er kommt.
Ibu Naomi weigert sich, mit mir Uab Meto zu sprechen. Sie beharrt auf der Bahasa.
Vor der Öffentlichkeit der Straße und der Märkte schrecke ich zurück. Zu dieser Konversation fühle ich mich nicht bereit.
Ich setze mich zunehmend unter Druck. Den Versuch zu wagen.
Samstag morgen der erste Versuch. Ich kaufe einer alten Frau aus Oepliki ein Oko mama. ab.
Das ganze Verkaufsgespräch in Uab Meto. Die alte Frau verzog keine Miene, zeigte kein Anzeichen von Überraschung. Sie machte den Eindruck, es sei alltäglich, dass Weiße mit ihr in ihrer Sprache sprechen.
Au tfin pah, sagte sie. Und ich hatte das Gefühl, sie hat mich verstanden. Das Körbchen bekam ich auch; sie das Geld.
Nun hatten wir ein Behältnis, um Betel aufzubewahren und anzubieten.
Also es geht.

Samstag nachmittag nehme ich mir frei.
Familientag. Ein langer Spaziergang zum Kampung Aman. Ein schöner Sonnentag, eine idyllische Umgebung, ein wirklich friedliches Tal.
Atmosphäre wie in einem Park.
Überall in So´e der gleiche, zufriedenstellende Eindruck. So´e ist ein Ort, wo man leben kann.
Indah! Aman! Bersih!
Ein Slogan der überall in Kupang propagiert wird. So´e hat diese Vision schon umgesetzt.
Kupang noch weit davon entfernt.
Im Kampung Aman waren wir willkommen. Freundliche Menschen. Small-Talk.
Nirgends die unfreundlichen, aggressiven und distanzierten Menschen, vor denen man uns in Bali und Jakarta gewarnt hatte.
Touristisch unerschlossenen Gebiete. Vorurteile inklusive.

Seit ein paar Tagen hören wir von den Billiks, sie hätten eine neue Pembantu für uns gefunden. Besok, also morgen, würde sie vorbeikommen.
Aber wie das mit besok so ist, man dard es nicht wörtlich nehmen.
Niemand kam zu uns. Schon gar keine Pembantu.
Als wir heute von unserem Spaziergang zurückkommen, werden wir erwartet. Die alte und junge Billik, eine junge Frau mit ihrer Mutter und jüngeren Schwester. Wir besprechen alles, die Konditionen bleiben die gleichen. Beide Seiten sind zufrieden.
Am kommenden Montag haben wir eine Pembantu.

Heidrun hat heute die Kette fertig geschärt. Morgen werden wir das Webgerät einzurichten.
Abends die letzten Arbeiten an der Dokumentation der bisherigen Erkenntnisse.

Wir haben ein Problem.
Heidruns Weblehrerin ist eine Ladda und stammt aus Rote. Auch Billik ist ein Rote-Name.
Ibu Naomis Mann ist ein Ton. Er stammt aus Amanban Tengah.
Ibu Naomi versichert uns, sie webe schon lange á la Amanuban.
Alle versichern uns, dass Naoni die Webtechnologie und die Musterungssysteme Amanubans beherrscht.
Wir beschließen uns, das zu glauben.
Ich vermisse meine Büchersendung. Ich könnte bei Alfred Bühler nachschlagen. Die Technologie überprüfen, die er in den 30er Jahren hier aufgenommen hat. Aber mein Bühler schippert nochirgendwo auf dem Meer herum.
Trotzdem ein guter Einstieg. Eine gute Einarbeitung, die uns in den Dörfern viele Fragen ersparen wird
In spätestens einem Monat haben wir das technologische Fundament gelegt, auf dem wir aufbauen können. Von hier aus werden wir nach den lokalen Unterschieden und Gemeinsamkeiten fahnden.

Marcelinus versetzt mich immer häufiger.
Ich frage ihn nach seiner Meinung zu dem Motiv ´kaif befragt. In T.T.S ist dieses Motiv auf den Tetilien weit verbreitet.
Ich kenne diesen Motivnamen aus drei verschiedenen Quellen:

  • Alfred Bühler notierte ihn auf den Karteikarten im Völkerkunde-Museum Basel. Er gibt die Bedeutung „zur Krokodilreihe gehörig“ an. Variationen nach Bühler sind makai und makaif.
  • Eine Broschüre, herausgegeben vom Kantor Bupati in So´e, enthält ein Verzeichnis mit Motiven der Ritualtextilien in Futus- und Lotis-Technik. Die geometrischen Motive dieser Liste werden insgesamt als ‚kai beziehungsweise als ‚kaif bezeichnet, und durch qualifizierende Begriffe ergänzt ‚kai koti, ‚kai koti-‚kai nan, ‚kai mausa, ‚kai makhama, ‚kaif, ‚kai naek,‚kai mutu.
  • Ibu Naomi und die alte Billik verwendeten für das Motiv, das Heidrun lernen soll, die Begriffe, makai‘ und makaif.

Es gibt eine Motivkategorie gibt, die allgemein als ‚kaif bezeichnet wird.
Marcelinus fügt eine weitere Nuance hinzu: Die Schreibung ‚kaif ist falsch. Wenn überhaupt, dann muss es akaif heißen, in der Bedeutung: selang-seling. Sich abwechselnd, intermittierend. Oder berkait, verhakt, verflochten, mit- und ineinandergewickelt. Eine
Motivbezeichnung, die Brigitte Majlis Rauten mit Konturhaken erinnert.
Marcelinus priorisieret makait oder mak-aif in der gerade genannten Bedeutung.
Marcelinus stammt aus Molo Utara stammt. Zwei verschiedene Dialekte des Uab Meto.
Marcelinus Begriffe decken sich mit denen Bühlers.
Unsere Nachbarin und Weblehrerin bestätigen diese Termini.
Eines ist sicher: Der Name des Motivs sagt lediglich etwas über die formale Gestalt aus. Eine Raute, die aus vielen, sich miteinanderverhakenden, sich ineinanderverschlingenden Spirallinien besteht. Die symbolische Bedeutung dieses Motivs muss davon nicht betroffen sein.
Die eigentliche Bedeutung kann in den zusätzlichen, qualifizierenden Attributen verborgen liegen.

Die Grippe hat mich fest im Griff. Erst am Abend geht es mir etwas besser.
So kann ich wichtigsten Ereignisse der letzten Tage festhalten.

25. Februar 1991

Halsschmerzen und Husten. Ich bin die ganze Nacht wach. Meine Erkältung hat sich erheblich verschlimmert.
Zerschlagen liege ich fast den ganzen Tag im Bett.
Ibu Naomi kommt heute schon vor acht Uhr um das Webgerät einzurichten. Wir schicken sie wieder nach Hause. Ich fühle mich körperlich und geistig nicht in der Lage zu arbeiten.
Nach Mittag kommt die alte Billik mit unserer Pembantu, mit der wir schon nicht mehr gerechnet haben. Eine junge Frau, unverheiratet, um die Dreißig. Sie wirkt reifer und resoluter als die von Samstag. Nona Sara möchte sie genannt werden. Wir sind für sie Missis und Mister. Ungewohnte Anreden. Wir finden das zu steif und unpersönlich. Aber da istnichts zu machen. Sie besteht darauf, und Oma Billik lächelt nur.
In Amanuban sei das so üblich. Früher habe man das koloniale Tuan und Nyonya verwendet. Aber die Zeiten seien vorbei.
Ich bin damit unzufrieden, zu distanziert. Mir wäre ein lockerer Umgang lieber.
Mit einem Dienstbotenverhältnis habe ich so meine Schwierigkeiten. Ich sehe in der Anstellung von Nonsa Sara mehr die Unterstützung und Zusammenarbeit.
Ich werde ihen Wunsch wohl akzeptieren müssen.

26. Februar 1991

Ich fühle mich etwas besser, die Erkältung hat sich wenigsten nicht verschlimmert. Um acht Uhr, wir wollen gerade frühstücken, steht Ibu Naomi unerwartet vor der Tür.
Wir beginnen sofort mit der Arbeit, transportieren alle Geräte auf die Terrasse. Naomi protestiert gegen diese öffentliche Performance unserer Arbeit. Sie argumentiert weieder mit der Störung durch die vielen Passanten.
Es sei nicht üblich vor dem Haus zu weben. Das geschehe hinter dem Haus. Nicht in der Öffentlichkeit.
Wir lassen ihr keine Wahl. Hinter dem Haus gibt es keinen geeigneten Platz. Nur ungepflegter Garten und kein gutes Licht zu fotografieren.
Oma Billik bringt ein paar Jeruk vorbei, nimmt Kassandra an die Hand und mit zu sich nach nebenan. Kassandra ist hoch erfreut. In den letzten Tagen besteht sie immer häufiger darauf, zur alten oder jungen Billik zu gehen. Das Haus, und wahrscheinlich auch wir, langweilen sie. Sie ist wieder einmal auf dem Hänschen-Klein-Trip. Sie drängt nach draußen, und zu unseren Nachbarn, die sie interessnter findet, als uns. Den ganzen Tag stundenlange Forschungsarbeit.
Bei den alten Billik kann sie die Hühnern, die Jungs, die Enkel der Billiks, kommandieren. Fernsehen oder sich mit Süßigkeiten vollstopfen lassen.
Bei den jungen Billiks ist das nicht anders. Dort schleppt sie die ganze Zeit deren junge Katze herum, fährt mit Ibu Dian zum Markt und spielt mit deren Kindern Salli und Dian.
Das erste Küken, das ihr die Jungs in die Hand gaben, erdrückt sie. Kein Stofftier. Sie hält das tote Küken fest, weigert sich es loszulassen. Hilf- und ratlos bringen die Jungs Kassandra und das Küken zu uns.
Kassandra weint bitterlich. Sie versteht nicht, dass das Küken tot is tund sie es nicht behalten kann.
Ich gehe nach nebenan um mich zu entschuldigen, das tote Tier zu bezahlen. Aber dort heißt es nur: Tidak apa-apa! Es wird gerade Betel gereicht. Alle amüsieren sich über Kassandra, winken ab. Nur ein Küken; Kinder sind so, das sei normal und passiere. Nicht so schlimm.
Die Jungs hätten Kassandra das Küken aufgedrängt.
Tidak apa-apa!

Wir arbeiten hart und sind mit dem Ergebnis zufrieden. Um Vierzehn Uhr geht Ibu Naomi nach Hause.
Das Webgerät ist fertig eingerichtet.
Die Dokumentation gelungen.

Inzwischen ist Nona Sara seit ein paar Tagn bei uns. Sie schmeißt unseren Haushalt, der ziemlich heruntergekommen war, geht mit Kassandra einkaufen und spielt mit ihr.
Kassandra findet die junge Frau sofort sympathisch.Die drängt sich ihr nicht auf, lässt Kassandrsa gewähren, reguliert sparsam und zurückhaltend. Sie lässt Kassandra entdecken, selbst herausfinden, was geht und was nicht.
Kassandra akzeptiert das. Hat überhaupt kein Problem mit ihr. Im Gegenteil sie weint, wenn Sara abends nach Hause geht.
Besok lagi! sagt sie zu Kassandra.
Kassandra versteht.

Nach einem bescheidenen, reichlich späteten Mittagessen – salzige Kekse mit Avocadobutter, lege ich mich eine Stunde hin. Ich bin ersch”pft.
In einer Stunde rechnete ich mit Marcelinus und einer weiteren Lektion Uab Meto.
Ich wartete vergeblich. Ich warte vergeblich. Marselinus versetzt erneut. Ich bin sauer über seine Unzuverlässigkeit.
Ich denke wieder darüber nach, ob ich noch mit ihm arbeiten will.

27. Februar 1991

Seit Wochen lese ich Malinowskis Tagebuch. Ich quäle mich durch die Seiten; immer wieder größere Pausen. Von einigen grandiosen Impressionen der ihn umgebenden Natur nichts wirklich Interessantes. Seine Notizen finde ich uninteressant und langweilig. Ob unbeteiligte Leser einmal dasselbe über mein Tagebuch denken.
Aber für die schreibe ich auch nicht.
Was ist an den Schwächen und Fehlern eines Menschen denn so Besonders? Sind es nicht diejenigen, die sich nie in Extremsituationen begeben, die sich an den Bemühungen und am Scheitern der anderen aufgeilen.
Malinowski ist vorbehaltlos ehrlich.
Das schätze ich an ihm. Es ist nicht einfach, vor sich selbst ehrlich zu sein.
Malinowski und mein Tagebuch unterscheiden sich: Für Malinowksi ist sein Tagebuch die einzige Möglichkeit, seine innere und äußere Einsamkeit zu kompensieren.
Ich kann alles an- und aussprechen, eingestehen und reflektieren. Ich habe ein gegenüber. Meine Frau undmein Tochter. Ich lebe nicht in Malinowskis Isolation. Er kann nur in sein Tagebuch lästern, schimpfen, sich seine Fehler eingestehen und zur gleichzeitig rechtfertigen.
Seine Tagebuchnotizen sind chronologisch verfasst, reflektieren aber nur sehr oberflächlich den Zweck seines Aufenthalts in Melanesien.
Sie gewähren aber tiefe Einblick in die Persönlichkeit Malinowski.

Mein Indonesisches Tagebuch erfüllt die Funktion: Es soll chronologisch arrangiert das Pendant zu den wissenschaftlichen Ergebnissen meines Forschungsprojektes bilden. Es tradiert die Umstände, die Ereignisse, meine Verfassung und die Atmosphäre, die zu den von mir erhobenen Daten geführt haben.
Es ist Spiegel meiner inneren Verfassung und Historie, will beobachten und dokumentieren.
Psychologisch spitzfindig meine Persönlichkeit zum Thema machen. Kompetenzen und Fähigkeiten, persönliche Schwächen und Leiden in den Vordergrund rücken. Es ist mir nicht daran agelegen, die eigene Person und Befindlichkeit auszuklammern.
Als teilnehmender Beobachter nehme ich den ganzen Kontext meines Hierseins in den Blick. Mich eingeschlossen.
Wenn meine eigene Person auch erheblich überschreitet, reieh ich sie in diesen Aufzeichnungen in den Strudel der Ereignisse ein.
Den ich wiederum nur peripher überblicke.

Mit Ibu Naomi haben wir heute die letzten Vorbereitungen vor dem eigentlichen Weben abgeschlossen.
Nachmittags und Abends dokumentieren und überarbeiten wir den Webprozess.
In technischer Hinsicht gibt es keine Probleme mehr.
Die Dokumentation der Webterminologie gestaltet sich sehr schwierig. Naomi weiß meistens nicht, was ich von ihr wissen will.
Ich frage sie nach den selbstverständlichsten Selbstverständlichkeiten.
Naomi versteht ihre Rolle als Informant nicht. Sie glaubt, es genüge, die Technik stumm zu demonstrieren.
Ich frage nach Namen, Bezeichnngen, nach den Termini der Einzelelemente der Geräte und der Phasen des Arbeitsprizesses. Nur widerwillig und unzureichend beantwortet sie mir meine Fragen.
Oma Billik versteht den Grund für meine Befragung und die Bedeutung unserer Arbeit viel besser.
Sie versteht intuitiv, worauf es mir ankommt,und unterstützt uns sehr. Wir müssen Ibu Naomi noch konsequenter in die Pflicht nehmen. Sie ist unser Informant. Wir bezahlen sie, und zwar sehr gut.
Also schuldet sie uns Informationen. Auf jeden Fall, die sie hat. So lautet unsere Vereinbarung.
Zukünftig werde ich besser darauf achten, mit Informanten zusammenzuarbeiten, die den Sinn unserer Arbeit für ihre indigene Kultur verstehen und akzeptieren.
Nicht nur aus monitärer Motivation.
Informanten, die von der Wichtigkeit dessen, was wir hier tun, überzeugt sind.
Unsere Bezahlung ist dann ein Geschenk. Eine Aufwandsentschädigung. Unser Dank für ihre Mühe. Nicht der Hauptgrund der Zusammenarbeit.

Nona Sara gewöhnt sich an uns.
Wir gewöhnen uns an sie. Für Kassandra existieren diese Probleme nicht. Sie ist mit fliegenden Fahnen zu ihrer Kinderfrau übergelaufen.
Sie hat schon begonnen, sie gegen uns auszuspielen.
Nona Sara erledigt inzwischen den größten Teil der Hausarbeiten. So war das nicht abgesprochen, weigert sich aber, diese arbeituns zu überlassen.
Heimlich sind wir froh darüber, hätten das aber nicht verlangt.
Nona Sara hält uns den Rücken frei. Wir können jetzt in Ruhe arbeiten. Ihre Engagement ermöglicht unsere Forschung.
Wir haben kein schlechtes Gewissen mehr, Kassandra zu vernachlässigen oder abzuschieben.
Kassandra geht es gut damit, nicht mehr den ganzen Tag auf uns fixiert zu sein.
Seit Montag nervt sie viel weniger.
Die gemeinsame Zeit mit Kassandra ist reduziert, aber intensiver und erfreulicher.
Wir haben alle unseren eigenen Freiraum gewonnen.

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