Eno Kiu: 7. Juni 1991

Wie verabredet bin ich heute mittag zurück in Eno Kiu.
Niemand zu Hause. Aber in Amanuban bleibe ich nie lange alleine. Irgendwer kommt immer und fragt. Diesmal ist es ein Nachbar der Sakans. Er klärt mich auf: Man sei ke bawah!
Die Männer sind schon am Morgen ins Tal des Noe Fatu hinabgestiegen um Humusu, das berüchtigte Alang-Alang-Gras, zuschneiden.
Hun, das ist Gras. Aber Humusu ist ein ganz bestimmtes Gras. Die Atoin Meto nennen es wegen seiner Widerstandskraft das wide Gras.
Den wilden Feind, den der früher Köpfe jagde, nennen sie beul musu.
Ich treffe Abraham und die Männer am Hang zum Fluss, wo sie Alang-Alang ausreißen und zu Garben bündeln. Mit den Grasbündeln decken sie später das Dach von Abrahams Neubau.
Die Frauen sind kurz vor mir mit dem Essen eijgetroffen.
Auf dem Weg zum Fluss hinab treffe ich Yohanis, Abrahams ältesten Sohn, der mich abholen will. Mit dem Motorrad fahren wir zusammen zum Arbeitsplatz der Männer. Ich stelle das Motorrad am Weg ab und wir gehen ein Stück den Hang hinunter.
Schon von weiten sehe ich die Gruppe unter einer großen Tamarinde, dem Hau Kiu, sitzen. Ein lautes Hallo kündet meine Ankunft an.
Ein ebener Platz am Hang, beherrscht von der großen Tamarinde. Die Aussicht den Hang hinunter ins Tal des Noe Fatu ist von hier aus einfach grandios.
Die Männer haben aufgegessen. Mein Sirih Pinang und die Zigaretten treffen zur richtigen Zeit ein.
Die Frauen und Kinder, die noch nicht gegessen haben, müssen warten, da zuerst mir angeboten wird.
Ich esse hastig. Einfach und schmackhaft. Reis und Mais, Gemüse, Un masi.

Die Unterhaltung setztunmittelbar ein. Wo ich Frau und Kassandra gelassen habe? Wollen sie wissen. Ich rede mich heraus, sage, Kassandra sei krank geworden. Es gab Streit. Heidrun hatte keine Lust, mich noch einmal nach Eno Kiu zu begleiten.
Wieder versichert Abraham mr, dass er uns unterstützen will. Er sagt, er könne uns alles vermitteln, was die Tracht der Atoin Meto betreffe.
Er schlägt vor, Heidrun könne mit seiner Frau zusammenarbeiten, während er und ich daneben sitzen. Das Theoretische werde er schon erklären.
Zwischendurch wieder Sprachunterricht. Ich lerne neue Vokabeln: Esu, ein Mörser für Mais, der aus jedem beliebigen Holz gefertigt werden kann. Hanu, der zugehörige Stößel, der nur aus dem harten Holz des Hau sunaf gemacht wird. Napao pena, das Zerstampfen der Maiskörner im Esu. Hanu nok esu.

Die Insel Timor, in seiner ethnisch-territorialen Perspektive nennt Abraham Pah Meto, das trockene Land. Die Bewohner nennt er Atoin Meto. Die Einheimischen, die Menschen.
Meto bedeutet auch indigen. Einheimisch.

Unklare Angaben zu den Naturfarben und -materialien, die die Frauen kennen und verwenden:

  • Hau noba, ein Baum, der gelben Farbstoff liefert;
  • Bauk`ulu, Morinda citrifolia, deren Wurzel einen rostroten Farbton liefert;
  • Faut kima, Steine, die zusammen mit Kuhdung zu Ab Meto, gebrannten Kalk, verarbeitet werden. Aus diesem Grund heißt dieser Kalk, der im Betel die Alkaloide löst, auch Ao kima.

Alle lachen und amüsieren sich bei meinem Versuch, au, ich, und ao, Kalk, korrekt auszusprechen.
Alle sind sich einig: Niemand würde mich verstehen.
Es macht mir große Mühe, [u] und [o] in der Artikulation phonetisch zu unterscheiden. So nahe liegen diese beiden Laute des Uab Meto beieinander.
Au geht noch. Ao ist unmöglich.
An der korrekten Aussprache von Kiu, Tamarinde, und Ki`u, der Käfig der Hühner, in dem sie ihre Eier ablegen, scheitere ich ebenfalls.
Auf diese Weise verbringen wir eine vergnügliche Mittagspause im Schatten der großen Tamarinde.

Neben den schon bekannten drei Bambusarten lerne ich heute den Namen der vierten der auf Timor heimischen kennen.
Bisher dachte ich, Bambus sei Bambus: O`, Petu, Kaka und Kmeo.

Den Tiba genannten, zylindrischen Kőcher, den Kal ao, in dem der gebrannte Kalk für den Betelkonsum aufbewahrt wird, stellt man aus O` oder Petu her. Die Verwendung von Holz ist auch üblich, aber viel arbeitsaufwendiger, da der Zylinder ausgehöhlt werden muss.

Besuch trifft ein.,Wahrscheinlich hat er mein Motorrad gesehen.
Ich lerne den Sekrataris Desa kennen. Ein sympathischer Mann, 46, und Angestellter in der Distrikverwaltung von Niki Niki.
Dieser Sekretaris ist eindeutig meinetwegen gekommen. Kaum eröffnet er das vertraute Frage- und Antwortspiel.
Bürokratie pur unter der Tamarinde. Unter der wir gut gegessen haben und nun in heiterer Stimmung zusammensitzen.
Unter den Frauen, Kindern und gelassenen Männern schaffte auch ich schließlich einen entspannten Small Talk.
Julius Kause heißt der Sekretaris.
Abrahams und Julius Mütter sind Schwestern. Abraham und Julius Cousins.
Julius Kause begrüßt mein Projekt, die Tracht seines Volks zu dokumentieren. Ein Buch darüber zu schreiben.
Erlangt nach einem Mau.
Selbst trägt er westliche Kleidung. Das ist hier in der Bürokratie so üblich.
Aus dem Stegreif spult er Informationen ab. Nichts wirklich Verwertbares. Keine unterscheiden sich von denen, die ich in der Textilmanufaktur von Mellu und Boimau` bekam.
Keine der Angaben von Julius Kause ändert momentan mein Bild und meine Hypothesen der Tracht prinzipiell.

  • Die Motive, die für die Musterung der Tracht der Atoin Meto verwendet werden, sind im Besitz einer Kanaf und werden seit den Zeiten der Ahnen tradiert.
    In diesem Zusammenhang fällt der Name Uis Neon Pala. Inder Literatur eine Bezeichnung für die Ahnen. Julius Kause übersetzt: Uis Neon Pala bedeute Tuhan yang terdekat. Später höre ich, wie die über 80jährige Mutter von Abraham mit Uis Neon Pala angesprochen wird.In der ethnographischen Literatur ist der kurze Uis Neno ein anderer Name für derbErd-Gottheit, der Quelle allen Lebens.
    Der mittlere Ast des Tola trägt den gleichen Namen. Marselinus Besa erklärt: Uis Neon Pala sind die Dewa-dewa. Christlich konnotiert bekommt Uis Neon Pala die im Kontext des indonesischen Keagaman-Konzepts die negative Wertung von Gottheiten oder Götzen.
    Uis Neon Pala gehört als ethnische Überzeugung ins animistische Kepercayan.
  • Die Motive der Tracht und die malak sind vergleichbar. Beide haben die gleiche Funktion, beide sind Familienbesitz (vgl.a. Mellus Theorie über den Ursprung der Motive aus dem Malak).
  • Die Motive der Tracht haben differenzierende Funktion: Auf der Mikroebene differenzieren sie die einzelnen Namengruppen (kanaf. Jede Kanaf besitzt sie charakterisierende Motive, die auf einem beschränkten Motiv-Inventar aufbauen. Es sind die Variationen sowie das veränderte Detail, die unterscheidend wirken.
  • Möglicherweise sind es die in Ikattechnik ausgeführten Motive der Mittelbahn (nanaf, die eine differenzierende Funktion besitzen. Die Ikatmusterung (futus scheint der entscheidende Faktor zu sein. Die Streifenanordnung der beiden Seitenbahnen (ninef) hängt anscheinend vom Geschmack des Trägers oder der Herstellerin ab. Immer wieder höre ich, es gebe diesbezüglich keine Vorschriften. Die gleiche Informationen erhielt ich von Mellu und von Boimau.
  • Neben der Mikroebene existiert auch eine Makroebene, die beispielsweise Amanuban- und Molo-Textilien eindeutig unterscheidet.

Der Futus ist in Amanuban das prominente Motiv, und deshalb auch von Vorschriften umgeben ist. Aufgrund meiner Vorarbeiten überrascht mich das nicht, da dies auch von Adams für Sumba, Tietze für Flores und Barnes für Lembata beschrieben hat.
In ländlicher Umgebung wird der in den Städten zunehmend Lotis verächtlich als Innovation angesehen, die nicht beliebt ist. Er wird als eine „unbedeutende Nachzüglertechnik“ angesehen, ohne kulturellen Kontext und Adat-Bedeutung: ein Import aus dem Ausland.

Das Motiv auf dem Mau, den wir selbst herstellen: zwei große, nebeneinandergesetzte Kauna, von denen eine große, viergeteilte `Kaif-Raute den Körper eines Reptils bildet: die keinere Raute stellt den Kopf dar. Zusätzlich gibt es einen mit `Kaif-Haken besetzten, spiralig eingerollten Schwanz. In den Zwickeln weitere kleinere Kauna-Motive. Heute höre ich, wie jemand den Namen des Motivs nennt: Besimnasi, also ein Krokodil. Jemand anderes sagt Kauna.
Es ist interessant zu erleben, dass weder Sakan noch Kause gleich sagen können, was Kopf und was Schwanz des Motivs ist. Was ich auf den ersten Blick erkannte, mussten die beiden erst suchen.

Und jede Namengruppe besitzt ihr eigenes Kauna-Motiv wurde ich aufgeklärt. Auf meine Frage nach den `Kaif-Motiv bekam ich keine konkrete Antwort. Ich frage, ob beide Motive in ihrer Bedeutung identisch seien; zustimmendes Gemurmel. Vage.

Nach dem Mittagessen gingen wir den Berg hinab ins Tal des Noe Fatu, wo mir gezeigt wurde, wie ich Alang-Alang-Gras (hamusu) ausreißen und zusammenbinden müsse. Ich wollte nicht nur zusehen, sondern mitarbeiten, was mir widerwillig einige Male erlaubt wurde.
Alang-Alang-Gras wird folgenermaßen ausgerissen (natao humusu): mit beiden Händen nimmt man oviel Grashalme, wie man greifen kann, bündelt sie und dreht sie einmal um 180 Grad um die eigene Achse. Die Halme müssen kräftig zusammengedrückt werden, damit man sich nicht schneidet, und reißt sie mit einem kräftigen Ruck aus. Anschließend säubert man die Wurzeln vom anhaftenden Erdreich und bricht die Dornen unmittelbar oberhalb der Wurzel ab. Dieser Vorgang wird mehrmals wiederholt. Die ausgerissenen Grasbündel schichtet man aufeinander und umwickelt sie an der Basis mit einem einzelnen Grashalm, dreht beide Enden mehrmals, und schiebt sie dann unter die Umwicklung.

Mit Humusu gedeckte Ume kbubu und Lopo sind gerade in der heißen Jahreszeit sehr kühl (manikin), völlig anders als die von der indonesischen Regierung propagierten viereckigen Steinhäuser mit einem Wellblechdach, die als gesunde Häuser (rumah sehat) angepriesen werden. für den Bau von Ume kbubu und Lopo wir kein einziger Nagel verwendet. Alle Bestandteile werden mit vegetabilen Materialien zusammengebunden.

Zurück im Gehöft der Sakan, holt man mir gleich einen Stuhl. Ich lehne ab und erkläre, ich möchte nicht auf einem Stuhl sitzen, während alle anderen auf dem Boden sitzen. Ich fühlte mich unwohl, auf die anderen Anwesenden herab zu schauen. Alle sind erfreut, fühlen sich aber auch nicht wohl damit, einen weißen Tuan auf den Boden zu plazieren. Besonders Abrahams Mutter kommt damit nicht zurecht. Sie schlägt einen Kompromiss vor: Seitdem sitze ich auf eine Matte (niha), die aus Lontarpalmblätter geflochten ist.
Kurz darauf kommt auch Julius Kause vom Gras ausreißen zurück. Small Talk über alle möglichen Themen – ungeordnet und locker. Er sei Beamter in der lokalen Desa-Verwaltung, wofür er glaubt sich bei mir entschuldigen zu müssen. Es gefalle ihm dort nicht mehr, seit Nesi Nope Bürgermeister (lurah) von Niki Niki geworden ist. Er lässt sich von Abrahams Frau ein Wasserglas gefüllt mit Palmschnaps (tua) bringen, und erklärt mir, dies sei Alkohol; Palmschnaps könne von drei verschiedenen Palmen gewonnen werden:

  • Tuak von der Lontarpalme (Borassus flabellifer). Die Blüten der männlichen Pflanze werden angeschnitten und mit einem zangenartigen Gerät gequetscht, sodass die begehrte süsse Flüssigkeit austritt (tua nina). Vergoren und destilliert wird dieser Saft zu Tua mtasa. Obwohl der Schnaps, den J. Kause trinkt, klar ist, bezeichnet er ihn alsmtasa. Das liege daran, erklärt er mir, weil verschiedene Substanzen, die er nicht kenne zugefügt worden seien, sodass der Schnaps rot, grün oder andersfarbig aussehen könne. Dies sei üblich in Nordzentraltimor. Heute gebe es in Amanuban nicht mehr so viele Lontarpalmen wie früher. Kupang sei heute das Hauptverbreitungsgebiet.
  • Tune von der Gewangpalme (Coryph utan Lamk.). Der Stamm der Gewangplame wird angeschnitten und die austretende Flüssigkeit in einem Behälter aufgefangen. Sie wird dann wie bei der Lontarpalme geschildert, weiterverarbeitet.
  • Bone von einer weiteren Palmart (Arenga saccharifera). die Gewinnung und Verarbeitung unterscheidet sich nicht von der bereits geschilderten.

Alle drei Palmen liefern außerdem den Zucker für die tägliche Ernährung.

Nach der Belehrung folgt die Praxis. Der Palmschnaps kreist und ich bin schließlich auch an der Reihe. Trotz des Protest von Abraham und seiner Frau, die sich für mich verantwortlich fühlen, werde ich gedrängt zu trinken. Ich müsse noch mit dem Motorrad nach Hause. Ein Schluck sei kein Problem, lautet die einhellige Meinung.
Julius Kause trinkt das Wasserglas in einem einzigen Zug leer. Er freut sich an der Wärme, die sich in seinem Körper ausbreitet.

Wir verabreden uns für den kommenden Montag. Dann wird das Dach des neuen Hauses gedeckt, und mit einer Adat-Zeremonie eingeweiht (tef ume.

Auf dem Heimweg fühle ich mich in den Serpentinen des Kupangwegs wie auf einem Karusell.

Anmerkung

Feldforschungstagebuch Amanuban: 7. Juni 1991

Datum 07.06.1991 / 12:00 – 16:30 Uhr
Ort Kuan Eno Kiu; Kelurahan Niki Niki; Zentralamanuban
Teilnehmer Abraham A. Sakan und Familie; Julius Kause; Nachbarn; HWJ
Daten Dachdecken; Befragung; Fotografie

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